0164 - Die Truhe des Schreckens
Der Butler war allein im Schloß, seit Zamorra und seine Sekretärin und Lebensgefährtin Nicole Duval nach England gereist waren.
Bois sah weit und breit kein Auto. Er mußte sich getäuscht haben, und da erkannte er, daß der Laut eines scheinbar vorfahrenden Autos zu der Geräuschkulisse gehörte. Wind riß und zerrte an dem altehrwürdigen Gemäuer, brach sich an Verzierungen, heulte und rauschte um die Ecken.
Raffael Bois blickte zum Himmel. Nur über dem Schloß hing eine mächtige Wolke - so tief, daß sie fast die höchsten Zinnen zu berühren schien.
Der Butler wollte das Fenster aufreißen, aber es klemmte. Im nächsten Augenblick zuckte ein Blitz nieder und traf die Blitzschutzanlage. Ein Teil der Spannung übertrug sich dennoch auf Bois und ließ ihn zusammenzucken.
»Zamorra!« brüllte eine Stimme.
Butler Raffael Bois hörte es und hatte Angst, ganz erbärmliche Angst. Er wußte genau, daß dieses Schloß gegen die Angriffe von Schwarzer Magie geschützt war. Deshalb konnte er sich die Phänomene nicht erklären.
»Zamorra!« wiederholte die Stimme, und sie klang verzweifelt.
Aus dem Arbeitszimmer kam sie!
Wer war das? Der Initiator des schrecklichen Schauspiels?
Der Butler knirschte mit den Zähnen. Auf einmal wurde er wieder ruhig. Seit er für den Professor arbeitete, hatte er eine Menge gelernt. Für das Château war Bois unersetzlich. Er war Hausmeister, Gärtner, perfekter Diener und ein Freund von Professor Zamorra. Jetzt war ihm klar, daß sich die Angriffe nicht etwa gegen ihn wendeten, sondern gegen den Professor, und das traf bei ihm einen besonders empfindlichen Nerv.
Butler Bois war nicht mehr der Jüngste, aber er ballte die Hände zu Fäusten und marschierte in Richtung Arbeitszimmer.
Dem werde ich’s zeigen! dachte er grimmig.
»Zamorra, so komm doch!« erscholl die Stimme.
Bois runzelte die Stirn und beschleunigte seine Schritte. Eigentlich war er gar nicht mehr so überzeugt davon, daß der Fremde von Zamorra etwas Böses wollte. Es hörte sich vielmehr so an, als benötigte er die Hilfe des Professors.
Vor der Tür zum Arbeitszimmer blieb Raffael Bois kurz stehen. Das Inferno der Gewalten, das um Château de Montagne tobte, hatte sich noch verstärkt. Ein kurzer Blick zu einem der Fenster. Pausenlos zuckten Blitze nieder. Der Bereich um das Schloß wurde taghell beleuchtet. Was weiter außerhalb geschah, konnte man nicht mehr erkennen, als hätte das Inferno einen undurchdringlichen Mantel um das Schloß gelegt.
Der Butler hieb auf die Türklinke und stieß die Tür auf.
Ursprünglich hatte er in das Arbeitszimmer wirbeln wollen, sozusagen als Überraschungseffekt, um sich dem Initiator des Geschehens zuzuwenden. Diese Absicht wurde durch die Erscheinung des Fremden zunichte gemacht.
Er stand mitten im Arbeitszimmer, in verkrampfter Haltung, den Rücken gebeugt und die Augen geschlossen. In den mächtigen Fäusten hielt er ein Beidhandschwert, dessen Spitze schräg nach vorn zeigte. Auf dem Kopf trug der Fremde eine Art Wikingerhelm. Es war ein Krieger wie aus einer Sage, mit riesigen Muskelpaketen. Einzelne Muskelstränge traten dick wie Stahltrossen hervor. Kein Gramm Fett befand sich an dem mächtigen Körper.
Einen solchen Menschen hatte Raffael Bois nie zuvor gesehen.
»Zamorra!« murmelte der Fremde gequält. Trotz seiner gewaltigen Stärke war da etwas, was ihm übel zusetzte. Er war nicht einmal in der Lage, sich aufzurichten.
Von der Schwertspitze sprühten Funken, die wie winzige Bälle über den Boden hüpften, bis sie erloschen. Der Krieger wurde von gleißendem Licht eingehüllt, und dieses Licht hatte seinen Ursprung in einer jenseitigen Sphäre.
Erst jetzt fiel Bois auf, daß die Gestalt des Fremden leicht durchsichtig war. Als hätte er versucht, über ein Dimensionstor in dieses Schloß einzudringen, und als wäre ihm das nur zur Hälfte gelungen. Etwas behinderte ihn dabei.
Hing es mit dem Inferno da draußen zusammen?
Raffael Bois machte einen Schritt vor.
Da löste der Recke eine Hand vom Schwertknauf und streckte sie ihm entgegen.
»Professor Zamorra?« flüsterte er. Mühsam öffnete er die Augen. Darin brannte verzehrendes Feuer. Bois erwartete, daß ein Blitz sich daraus löste und ihn vernichtete, weil er nicht Zamorra war.
Statt dessen stöhnte der Hüne enttäuscht: »Nein!«
Noch einen weiteren Schritt wagte Raffael Bois. Vor dem Fremden brauchte er keine Angst zu haben, denn der hatte andere Sorgen, als ihm etwas anzutun. Aber
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