Ein verwegener Gentleman
war keine gute Partie. Er hatte darauf bestanden, dass sie sich heimlich treffen müssten, weil ihre Verwandten ihr genau das sagen würden. Blind in ihrer Vernarrtheit und ihrer jugendlichen Unerfahrenheit, hatte sie an dem romantischen Abenteuer Gefallen gefunden und war sich überhaupt nicht bewusst gewesen, welchen Schaden ihr Verhalten anrichten konnte. Sie hatte eine schlechte Wahl getroffen, vorschnell gehandelt und ihre eigene bittere Medizin zu schmecken bekommen. Aber was ihr am meisten wehgetan hatte, war, dass sie ihren Vater erschüttert und beschämt, seinen illustren Namen in den Schmutz gezogen und sein Herz gebrochen hatte. Dass sie selbst unwiderruflich ruiniert war, erschien ihr angesichts der Verzweiflung ihres geliebten Vaters nicht mehr wichtig.
Elizabeth warf den Kopf zur Seite und kniff die Augen zu. Sie wollte nicht, dass der Kummer ihr so ins Herz schnitt. Sie zwang sich stattdessen, an einen anderen Mann zu denken. Einen hochgewachsenen Gentleman mit harten, attraktiven Gesichtszügen, der nicht zu ihren Verehrern gehört hatte, an den sie sich dennoch erinnern konnte. Sie hatten nie miteinander gesprochen, aber er war ihr in jenem Sommer aufgefallen.
Am Rande des ton hatten sich einige junge Lebemänner lautstark bemerkbar gemacht. Meistens mieden sie die konventionellen Gesellschaften und veranstalteten ihre eigenen ausschweifenden Versammlungen. Sie ließen sich nur selten herab, bei Almack’s zu erscheinen, wo unter dem Deckmantel altmodischer, streng organisierter Soireen ein Heiratsmarkt stattfand. Auch die luxuriösen Bälle, die von liebevollen Müttern mit anziehenden Töchtern arrangiert wurden, vermochten sie nicht zu verlocken. Sie waren arrogant und wohlhabend, und ihre verschwenderische Lebensweise war legendär.
Unter ihnen war auch dieser rätselhafte Gentleman mit dem markanten Zigeunergesicht gewesen. Seine muskulöse Statur hatte Zeugnis von regelmäßiger, unerbittlicher körperlicher Ertüchtigung gegeben.
Manchmal hatte er ihr und ihren Freunden einen träge amüsierten Blick zugeworfen. Bei den wenigen Gelegenheiten, da das Schicksal sie zusammengeführt hatte, schien er von ihrer hellhaarigen Schönheit und ihrer zierlichen, sinnlichen Gestalt unverschämterweise unbeeindruckt zu sein.
Ein- oder zweimal, wenn sie heimlich die Gruppe distinguierter Herren und ihrer ausgelassenen Begleiterinnen beobachtet hatte, hatten sich ihre Blicke getroffen. Seine golden schimmernden Augen hatten ihre amethystfarbenen festgehalten, und der spöttische Ausdruck in seinen schönen Zügen hatte sie erröten lassen. Höchst empört darüber, dass er es wagte, über sie zu lachen, hatte sie sich schließlich abgewendet. Dennoch war sie pikiert gewesen, dass er sie nicht häufiger bemerkte.
Mit achtzehn Jahren war sie zu einer klassischen Schönheit geworden, mit hohen Wangenknochen und einem ebenmäßigen Antlitz. Der Ton ihrer Augen hatte sich zu einem außergewöhnlichen Veilchenblau vertieft. Ihre Wimpern und Augenbrauen waren ebenfalls dunkler geworden, während ihr Haar den hellen perlmuttartigen Glanz behalten hatte.
Sogar Fremde sagten ihr, sie sei schön. Sie hatte das bereits gewusst … und ausgenutzt. Sie hatte es genossen, dass die Blicke der Männer ihr folgten. Die Komplimente, die Geschenke, die ständige Aufmerksamkeit hatten sie amüsiert, und erst als es zu spät war, hatte sie erkannt, dass das Interesse des starken Geschlechts ebenso gefährlich wie erfreulich sein konnte und dass ihre adelige Geburt und ihre Unschuld keine Garantie für Freundlichkeit und Respekt waren. Wenn Gentlemen sie heute betrachteten, pflegte sie ihr Kinn zu recken, jedoch aus ungebrochenem Stolz und nicht aus Eitelkeit. Früher hätte sie kokett Augenkontakt mit ihrem Bewunderer aufgenommen, doch nun vermied sie das geflissentlich. Daher beunruhigte es sie, dass sie nun hoffte, sie würde Ross Trelawneys Aufmerksamkeit erregen …
Elizabeth sank tiefer ins Wasser und atmete den entspannenden Lavendelduft ein, der ihm entstieg. Dabei erinnerte sie sich an einen weniger bedrohlichen Mann: Guy Markham hatte sich ebenfalls in diesen ungezügelt lebenden Kreisen bewegt. Sein Vater, Sir Clive, war ein Freund ihres Vaters gewesen. Sie fragte sich, was Guy Markham wohl jetzt tat. Sie hatte ihn recht gerne gemocht. Bei den wenigen Gelegenheiten, da sie ihm begegnet war, war er ihr zuvorkommend und liebenswürdig erschienen. Unwillkürlich schweiften ihre Gedanken wieder zu Viscount Stratton
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