Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
Vom Netzwerk:
Hunde.«
    »Das können wir nicht, wir sind nicht von der Polizei.«
    »Ist egal«, bellte der Mann.
    Er warf die Zigarette endlich fort, beugte sich vor und riss der Leiche einen Schuh vom Fuß. Beschwörend hielt er ihn hoch.
    »Seht ihr das?«
    Wir blickten auf die lederne Innensohle.
    »Das ist ein teurer Schuh«, sagte der Mann und warf ihn gleich darauf in den Sand zurück. »Ihr müsst ihn mitnehmen. Er ist einer von euch. Er ist ein Jude.«
    »Das geht nicht«, sagte Ezra und hob die Hände. »Was sollen wir mit einer Leiche tun?«
    »Was weiß ich. Ihr seid zu zweit, nehmt ihn und begrabt ihn irgendwo.«
    Ich blickte zum Hügel hinauf und mir schien, alle Leute dort warteten nur darauf, dass wir uns weigerten.
    »Auf drei laufen wir los«, zischte Ezra.
    »Nein«, brummte ich sofort und sagte laut: »Wir nehmen ihn mit.«
    »Bist du verrückt?«, fuhr Ezra auf.
    »Tu, was ich dir sage«, antwortete ich kühl.
    Ezra blickte unschlüssig auf den Toten, während ich bereits dessen Hemd packte und daran zog. Die Leiche rührte sich nicht.
    »Los, hilf mir«, sagte ich in so entschiedenem Ton, dass Ezra gehorchte.
    Unter den Augen der Slumbewohner hoben wir den schweren Körper aus dem Sand. Als er, starr wie eine Holzpuppe, mit ausgebreiteten Armen aufrecht stand, wurden Laute des Entsetzens vernehmbar, selbst der Mann, der uns geführt hatte, wich zurück. Die steifen Arme der Leiche über den Schultern, stemmten wir sie in die Höhe. Ich blickte stur geradeaus, doch aus dem Augenwinkel sah ich die dunkel verfärbte Hemdbrust des Toten. Ich ahnte, dass dem Mann die Kehle durchschnitten worden war. Von Ekel und Mutwillen zugleich erfasst, begann ich mich rückwärtszubewegen und zwang Ezra, mir so zu folgen, dass wir den Toten in Richtung der Leute umdrehten. Schreiend flohen sie vom Hügel.
    »Verschwindet«, rief der Mann und hob seinen Stock. Doch in seinen Zorn mischte sich so sehr die Angst, dass er sich sofort umdrehte und davonging. »Geht, geht, geht«, sagte er nur und es klang wie eine Verwünschung.

4.
    W ir trugen den Toten fort und unser Schnaufen rührte we-
niger von der Anstrengung als vom Ekel. Ich wandte immer wieder, soweit ich konnte, den Kopf, um zu sehen, ob uns jemand folgte. Da ich niemanden sah, blieb ich stehen.
    »Legen wir ihn hier hin«, sagte ich und schob den toten Arm von meinem Nacken.
    Ezra stand still und machte keine Anstalten, den Toten loszuwerden.
    »Was ist?«, fragte ich ungeduldig.
    »Lass ihn uns weitertragen.«
    »Warum? Niemand sieht uns hier, sie sind alle weg.«
    »Ich kann ihn nicht einfach so liegen lassen«, sagte Ezra. Und nach einer Pause: »Ich glaube, ich kenne ihn.«
    »Du kennst ihn? Wer ist er?«
    »Ich bin nicht sicher – so genau habe ich ihn nicht angeschaut. Aber ich glaube … Lass ihn uns wenigstens in den Schatten tragen.«
    Ich blickte auf und versuchte abzuschätzen, wie weit es bis zu dem kleinen Palmenhain war, der in den aufsteigenden Hitzewellen zu schwimmen schien. Dort gab es Schatten, doch der Weg war lang und ich schwitzte jetzt schon so stark – alles in mir rebellierte gegen diese nutzlose Anstrengung.
    »Was soll das? Nur weil du ihn kennst, sollen wir ihn tragen? Wir könnten ihn doch ablegen und die Polizei holen.«
    Doch Ezra antwortete nicht mehr, setzte nur einen schweren Schritt vor den anderen. Ich glaubte, den toten Körper riechen zu können, und das machte mich wütend.
    »Du mit deinem Gerede von den armen Leuten.«
    »Du hast ihn doch aufgehoben, ich wollte nicht«, erwiderte Ezra.
    »Du weißt nichts von diesen Leuten. Vielleicht haben sie ihn umgebracht. Das hätten sie ohne Weiteres auch mit uns tun können. Wer findet uns hier draußen?«
    »Nein, nein, ich glaube nicht, dass sie es waren. Sie haben ihn gefunden, wie der Mann gesagt hat.«
    »Er hat es nicht gesagt. Du nimmst es an. Du glaubst zu wissen, was sie tun und was sie wollen, sie aber sind unberechenbar. So sind die armen Leute.«
    »Ja«, schnaufte Ezra, »das sagen alle, weil man es ihnen so beigebracht hat. Diese Leute sind besser als mancher, den ich kenne.«
    »Die würden alles tun für ein bisschen Geld.«
    Ezra versuchte den Kopf zu schütteln. »Du wirst es sehen, wenn wir bei der Polizei sind, sie haben ihn nicht umgebracht.«
    Die Bewohner des Palmenhains hatten uns kommen sehen: Drei Männer humpelten über die Ebene und jener in der Mitte hatte halb offene Augen im wächsernen Gesicht. Mit gebleckten Zähnen starrte er über die Palmenwipfel

Weitere Kostenlose Bücher