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Ein wilder und einsamer Ort

Ein wilder und einsamer Ort

Titel: Ein wilder und einsamer Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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weshalb
Latif nur mit mir zu tun haben wollte. Weil ich mit Adah befreundet war und
alles tun würde, damit die Sache glatt über die Bühne ging? Oder war da noch
etwas anderes im Spiel — etwas, was mir noch nicht klar war?
    Und noch ein Punkt verwirrte mich:
Woher hatte er gewußt, daß er es wirklich mit mir zu tun hatte? Er hatte keine
Frage gestellt, die nur ich beantworten konnte, aber andererseits hatte er sich
bisher zu clever gezeigt, um blindlings soviel zu riskieren. Irgend etwas zu
Beginn unserer Kommunikation hatte ihm diese Sicherheit gegeben, aber ich
wollte verdammt sein, wenn ich wußte, was.
    Fünf Uhr vierundzwanzig. Ich erreichte
die Telefonzelle am Anlegesteg. »In Position«, sagte ich in das Mikro. Hinter
mir knarzten Taue, als das Boot von einer leichten Welle emporgehoben wurde; in
der Fahrrinne klackte eine Boje monoton vor sich hin. Ich spähte wieder in das
Dunkel, suchte nach irgendeinem Zeichen seiner Anwesenheit, wußte, daß ich
keins entdecken würde. Schließlich gab ich es auf, horchte auf das
Stimmengemurmel, das von den Absperrungen herüberdrang, beobachtete den dünnen
Verkehr auf der fernen Brücke.
    Fünf Uhr sechsundzwanzig. Herrgott, ich
hatte es satt, nach seiner Pfeife zu tanzen!
    Aus dem Augenwinkel sah ich eine
Bewegung im Inneren des MG, wo Hamid saß, mit Handschellen an die Verankerung
des Sicherheitsgurts gekettet, die Füße in Fußschellen. Überflüssige
Vorsichtsmaßnahmen, da er — wenngleich immer noch mürrisch — vollauf
kooperierte, aber anders hatte Parkhurst ihn nicht aus der Obhut der
Sonderkommission entlassen wollen. Auf der Fahrt hierher hatte ich Hamid zum
Reden zu bringen versucht, aber nichts geerntet als die Aufforderung, ihn am
Arsch zu lecken. Arrogant bis zum letzten, dachte ich. Er hatte mich noch nicht
mal gefragt, was ich mit seiner Tochter gemacht hatte. Botschafter Jalil im
übrigen auch nicht; aus der Art und Weise, wie er das Thema auf meinen Vorstoß
hin abgewimmelt hatte, schloß ich, daß Habiba für ihn ein lästiges Detail war,
das man am besten ignorierte.
    Arme Kleine. Die Azadis legten
sicherlich keinen Wert auf den mutterlosen Sproß einer amerikanischen Trinkerin
und eines Mörders. Und jetzt, da sie nicht mehr Gegenstand eines erbitterten
Mutter-Sohn-Tauziehens war, interessierte sich auch ihr Vater nicht mehr für
sie.
    Fünf Uhr siebenundzwanzig.
    Mein ganzer Körper kribbelte von der
Überdosis Adrenalin. Mein Kopf schmerzte, und meine Augen brannten vom
Schlafmangel. Das Haar hing mir stumpf auf die Schultern. Gewaschen hatte ich
mich zuletzt gestern nachmittag bei All Souls, Zähne geputzt ebenfalls. Ich
fühlte mich wie der letzte Mensch und sah vermutlich auch so aus.
    Fünf Uhr achtundzwanzig. Gleich soweit.
    Ich versuchte gezielt, meine Gedanken
und Gefühle abzuschalten. Ich blendete alles aus, selbst das körperliche
Unwohlsein, und bemühte mich um die Art Konzentration, wie ich sie am
Steuerknüppel erreichte. Ich ließ nur noch einen einzigen Stimulus zu: Angst.
Öffnete mich ihr, ließ mich von ihr auf eine andere Bewußtheitsebene
katapultieren.
    Highsein. Genauso high wie er in diesem
Moment.
    Fünf Uhr neunundzwanzig.
    Ich starrte auf das Telefon. Seine
blanke Oberfläche reflektierte den grauen Himmel hinter mir. »Kann losgehen«,
sagte ich in das Mikro. Und legte die Hand auf den Hörer.
    Das Telefon klingelte.
    »Hallo.«
    »Ist alles bereit, Ms. McCone?« Die
Stimme war hoch und unwirklich, ohne jeden Akzent. Er benutzte einen
Stimmverzerrer.
    »Ja. Alles, wie Sie’s verlangt haben.«
    »Sie versuchen natürlich, diesen Anruf
zurückzuverfolgen, aber dafür wird er zu kurz sein. Sie haben ein
Sendemikrophon am Körper.«
    Verdammt! Ich hatte ja gewußt, daß er
es ahnte.
    »Entfernen Sie es bitte. Ich beobachte
Sie.«
    Er mußte ganz in der Nähe sein, ein
Handy benutzen. Vielleicht hatte er sich sogar unter die Presseleute an einer
der Absperrungen gemischt. Ich zögerte, wollte die Verbindung zur
Sonderkommission nicht verlieren. Aber dann fielen mir Parkhurst letzte Worte
wieder ein: »Tun Sie, was immer er will.«
    »Okay, ich reiße das Kabel ab.« Ich
legte den Hörer weg, öffnete den Reißverschluß des Sweatshirts, riß den Draht
los. Hielt das Ende hoch, damit er es sehen konnte — wo immer er war.
    Jetzt bist du auf dich gestellt, dachte
ich. Nur du und er.
    Ich nahm den Hörer wieder auf. »Haben
Sie’s gesehen?«
    »Ja. Gucken Sie jetzt in das
Telefonbuch, das unter der Ablage

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