Ein wilder und einsamer Ort
HAMID IN IHREM KLEINEN
ROTEN WAGEN UM ZWANZIG NACH FÜNF ZUM MARINA GREEN. AM OSTENDE IST EIN
PARKPLATZ, NEBEN DEM GOLFPLATZ. ER IST BIS SECHS GESPERRT. KENNEN SIE IHN?
»Der beim Gashouse Cove-Becken?«
JA. SIE FAHREN AUF DEN PARKPLATZ,
WENDEN UND PARKEN AN DER EINFAHRT MARINA BOULEVARD. SAGEN SIE DER
SONDERKOMMISSION, SIE SOLLEN EINEN HUBSCHRAUBER UND EINEN UNBEWAFFNETEN PILOTEN
AUF DEM GREEN GLEICH HINTER DEM GOLFPLATZ BEREITHALTEN.
Ich sah Parkurst an. Er nickte.
»Ich werde da sein.«
SIE LASSEN HAMID IM WAGEN UND GEHEN ZUR
ERSTEN TELEFONZELLE BEI DEN LIEGEPLÄTZEN. ICH RUFE SIE UM PUNKT HALB SECHS AN.
»Verstanden.«
Hinter mir war jetzt Bewegung und
Geraschel. Ich ignorierte beides.
DIE POLIZEI SOLL DAS GEBIET ABSPERREN.
KEINE VERSTECKTEN SCHARFSCHÜTZEN UND KEINE HELDENTATEN IRGENDWELCHER ART. ICH
WERDE DAS TERRAIN BEOBACHTEN UND JEDE FALLE SOFORT BEMERKEN. IST DAS KLAR?
»Ja, alles klar.« Parkhurst hatte
Morland eine Notiz hingeschoben. Er gab sie an mich weiter, ehe er meine
Antwort eintippte.
Auf dem Zettel standen die Adresse des
Apartments an der Fillmore Street und die Botschaft: »Bombenbaumaterial in der
Küche. Aufreibbuchstaben und Briefpapier im Schreibtisch. Sonst nichts, außer
einem Foto von einer unbekannten Frau mit Kochmütze und Schürze und einem
Araber, der eine starke Ähnlichkeit mit Richard Nixon hat.«
Chloe Love und Khalil Latif.
»Sharon?« Morland stieß mich mit dem
Ellbogen an. Ich sah auf den Bildschirm.
ALSO HALB SECHS, MARINA GREEN. UND
NICHT VERGESSEN: ICH SEHE ALLES.
29
Das Marina Green zieht sich vom St.
Francis-Jacht-Club etliche Blocks nach Osten, bis zu den Liegeplätzen von
Gashouse Cove beim Fort Mason. Es besteht aus einer ebenen Grünfläche und einer
Uferpromenade. An klaren, sonnigen Tagen, wie sie in dieser Gegend, die mich
immer an einen kleinen Mittelmeerort erinnert, so ziemlich die Regel sind, ist
das Grün von picknickenden und Drachen steigen lassenden Menschen, Liebespaaren
und Sonnenanbetern bevölkert. Jogger, Walker und Hundehalter drängen sich auf
der Promenade, und die Bänke sind belegt. Touristen fotografieren die
schnittigen Jachten und luxuriösen Kabinenkreuzer oder inspizieren das kleine
Schindelhäuschen mitten auf der Ufermauer, das der Navy als Sonarortungsstation
dient. Der Ausblick ist ein Postkartenpanorama — von der Golden Gate Bridge bis
Alcatraz. Kurzum: ein Ort des Friedens und der Freude.
Doch nicht morgens um zwanzig nach
fünf, nach einer strapaziösen nebligen Nacht. Nicht, wenn ein Soziopath im
absoluten Machtrausch einem diktiert, was man zu tun hat — und einen zudem
beobachtet.
Hinter den Türmen des Russian Hill
begann sich der Nachthimmel grau zu färben. Der Nebel hatte sich zum Golden
Gate verzogen und lag als schmuddeliger Schmierstreifen zwischen den rötlichen
Pfeilern der Brücke. Verstreute Lichter funkelten auf den Marin Hills, und der
Leuchtturm von Alcatraz blinkte. Von der Bay her wehte ein kalter, steter Wind.
Auf dem Rasen, ein paar hundert Meter
von meinem Wagen entfernt, stand ein Hubschrauber des Police Department, mit
blinkendem Rotlicht und einem unbewaffneten Beamten in der Kanzel. Der Marina
Boulevard war über die zwei Blocks zwischen Webster und Steiner Street
gesperrt. Die allgegenwärtigen Reporter und neugierige Anwohner drängten sich
an den Absperrgittern. Neben mir lag die Grünfläche dunkel und verlassen da.
Ich stieg aus dem MG und spähte in das
Schattendunkel. Irgendwo dort war er, nicht weit weg.
Die Sonderkommission hatte sich
genauestens an Latifs Anweisungen gehalten, mit Ausnahme des
Scharfschützenkommandos, das in ein Apartmenthaus am Green geschmuggelt worden
und auf dem Dach in Stellung gegangen war. Sie würden nichts tun, was Adah
gefährden könnte, und Heldenstückchen würde es nicht geben — jedenfalls nicht
von meiner Seite. Ich würde einfach mitspielen.
Ich wandte mich von meinem Wagen ab und
ging auf die Telefonzelle bei den Liegeplätzen zu. Das Kapuzensweatshirt, das
ich mir von einer Beamtin der Sonderkommission geborgt hatte, um das
Körpermikrophon zu verdecken, war viel zu groß, ich krempelte im Gehen die
Ärmel hoch. Zuerst hatte ich mich gegen die Verkabelung gewehrt, aus Angst,
Latif könnte merken, daß ich seine Anweisungen der Sonderkommission
übermittelte, aber jetzt war ich froh, daß ich nachgegeben hatte. Auf diese
Weise fühlte ich mich hier draußen nicht ganz so allein.
Ich verstand noch immer nicht,
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