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Einarmig unter Blinden - Roman: Roman

Einarmig unter Blinden - Roman: Roman

Titel: Einarmig unter Blinden - Roman: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Jessen
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sage ich zu Nils. „Alle anderen werben mit Zusatznutzen Genuss oder Mach-mal-ʼne-Pause.“
    „Ein Foto mit einem halbnackten jungen Pärchen. Sie küssen sich“, sage ich. „Alle anderen werben kreuzbrav. Zeigen Getreide und Milch und Schokolade.“
    „Unsere Aussage ist, mit diesem Riegel gelingt dir alles“, sage ich. „Unser Slogan: Get on it. Das ist doppeldeutig.“
    Nils ist keiner von der schnellen Truppe, doch das erwarte ich auch nicht von einem Provinzwerber. Als endlich der Groschen fällt, ist er begeistert. Als ich sage, ich präsentiere die Kampagne selbst, nicht mehr. Das ist sein Job. Doch die Idee ist zu gut, als dass ich sie von ihm vermasseln lassen will.
    Am Ende einigen wir uns auf eine gemeinsame Präsentation.
    Jedenfalls weiß er jetzt, dass ich mein Geld wert bin. Und er weiß auch, dass er sich mächtig anstrengen muss, um seinen Job nicht zu verlieren.
    Doch das ist nicht der Grund für meine gute Laune. Ich bin gut drauf, weil Frank unsere Verabredung einhält.
    Calvin ist ebenfalls gut drauf.
    „Endlich gehen wir mal aus“, sagt er. „Ist ja eine Ewigkeit her.“
    Wenn man die Baumwollhochzeit hinter sich hat und 400.000 Euro Schulden, wird ein einfacher Brunch zum Höhepunkt der Woche.
    Andere Höhepunkte sind bei Calvin und mir selten geworden. Wir haben keine Zeit für Sex. Wir müssen das Haus einrichten. Wir müssen Lampen an die Decken hängen und Vorhänge vor die Fenster. Ich kann solche Sachen nicht, und daher muss Calvin alles allein machen. Der Vorteil von Eventmanagern ist, dass sie handwerklich geschickt sind, organisieren können und irgendwie alles hinkriegen. Während Calvin Bücherregale an die Wand schraubt, sitze ich vorm Computer.
    TUI hat tolle Angebote.
    Reiseexperten.com hat tolle Angebote.
    „Willst du einen Halogenspot überm Regal?“, ruft Calvin.
    Neckermann hat tolle Angebote.
    „Ja!“, rufe ich zurück.
    Ab-in-den-Urlaub.de hat tolle Angebote.
    Dann liegen wir im Bett, und Calvin ist ausgepowert. Ich habe auch keine Lust, und so gibt es wenigstens keine Diskussionen.
    „Gute Nacht, Sweetie“, sagt er.
    Er küsst mich, dreht sich um und schläft ein.
    „Get on it“, flüstere ich. „Mit diesem Riegel gelingt dir alles.“
    Dann drehe ich mich auch um.
    Wir liegen Rücken an Rücken.
    Ich bin noch lange wach.
    Es gibt Männer, die sehen besser aus, je älter sie werden.
    Sean Connery ist so einer.
    George Clooney ist so einer.
    Frank ist auch so einer.
    Die Jahre sind nicht spurlos an ihm vorbeigegangen, aber jede Spur ist es wert. Seine Strubbelhaare sind jetzt kurz und zeigen silberne Lichtblitze. Seine blauen Augen sind umkränzt von Fältchen. Damals beim Ultra-Speed-Dating sah er aus wie ein Lausbub. Jetzt sieht er aus wie ein Lausbub, der zum Mann gereift ist.
    Ulrike ist auch älter geworden. Ihr hat die Zeit keine Geschenke gemacht.
    Wir sitzen in der Akademie der Schönen Künste, plappern, frühstücken, rauchen. Ulrike schwelgt in Erinnerungen.
    „Mannomann, das war was“, sagt sie. „Ich bin damals nur aus ʼner Laune raus hin.“
    „Du bist hin, weil du Single warst“, sagt Frank.
    Er trinkt Kaffee, Tasse um Tasse, während wir anderen reinhauen wie die Scheunendrescher.
    „Nur deshalb warst du dort“, sagt er.
    „Du weißt natürlich wieder alles besser“, sagt Ulrike.
    „Stehst du immer noch auf in Curry gebratene Tiger-Prawns?“, frage ich sie.
    „Was?“ Ulrike hat das Friday-Night-Delight-Supper längst vergessen. Unter Garantie gabʼs bei ihr und Frank schon lange keins mehr.
    „Ich hol mir noch was“, sage ich und gehe zum Büfett.
    Beim Brunch in der Akademie der Künste gibt es für 30 Euro kalte und warme Speisen. Dazu alle Arten von Getränken, sogar Champagner.
    „Aber kein Veuve Monsigny“, sagt Frank, der auf einmal neben mir steht.
    Ich lächle ihn an. „Die wissen halt nicht, was gut ist.“
    Frank lächelt nicht, aber irgendwie streift seine Hand meine. Wir gehen zurück zum Tisch. Ich mit Pastete auf dem Teller. Frank mit nichts. Wir setzen uns.
    „Ein Riesenarsch“, sagt Ulrike gerade, und Calvin lacht. „So was von einem Riesenarsch.“
    „Wer?“, frage ich.
    „Ulrikes Chef hat eine Urlaubssperre verhängt, als die Quoten in den Keller wanderten“, sagt Calvin. „Dann ging er selbst in Urlaub.“
    Ulrike moderiert die Galaxy-Show auf Südwest-TV, einem lokalen Fernsehsender. Ein aufgemotzter Wetterbericht, mit dem sie angibt, seit wir hier sind.
    „Kochst du noch?“, frage ich

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