Einarmig unter Blinden - Roman: Roman
schmeißen. Also pass auf, für ein Friday-Night-Delight-Supper, für unser Friday-Night-Delight-Supper, starten wir mit in Curry gebratenen Tiger-Prawns. Dazu Champagner Veuve Monsigny und dann –“
Dann bimmelte die Uhr, und ich war dran.
Ich sagte: „Castellani deklariert billige Auslandsweine um. Er steht vor Gericht, unten in Bologna. In seinen Aldi-Verschnitten sind keine zwei Prozent Chianti. Will ich bloß mal gesagt haben, ganz ungeschützt.“
Das ist typisch für mich. Wenn ich was weiß, muss es die Welt erfahren. Wenn ich nichts weiß, erfinde ich falsche Wahrheiten. So überzeugend, dass ich selbst dran glaube. Ich habe keine Ahnung, wer Castellani ist. Aber das spielt keine Rolle. Eine Rolle spielt „unten in Bologna“. Das klingt insidermäßig, das frisst jeder. Allerdings bringt einen beim Ultra-Speed-Dating die Wahrheit nicht weiter. Da ist es besser, wie Ulrike das Püppchen zu spielen. Von ihr hörte man an diesem Abend kein Sterbenswort über offene Rücken. Keinen Pieps über Babys mit halben Köpfen. Stattdessen sagte sie, Tiger-Prawns, oooh wow! Die sind meine Schwäche! Woher weißt du das nur, Frank? Und Champagner, kicher, kicher, da sind mir immer die Flaschen zu klein. Champagner macht mich leichtsinnig! Macht mich maßlos! Geradezu liederlich! Zu einem Night-Delight-Supper sage ich bestimmt nicht nein.
Ulrike und Frank tauschten Handynummern.
Calvin und ich tauschten Handynummern.
So wollte ich es. Damit das Spiel beginnen kann.
Ich ging mit Calvin ins Bett. Als er mich irgendwann später fragte, sagte ich: „Ja.“ Heute feiern wir Ochsenhochzeit, und Ulrike und Frank stoßen auf uns an.
Gesine und Reinhold, Sanne und Simon stoßen ebenfalls auf uns an. Unter Palmen, am Meer.
Schön warm ist es.
Das ist doch was.
Antonie und Calvin
Der Typ trägt einen schwarzen Rollkragenpullover und eine schwarze Hose mit Bügelfalten. Der einzige Farbfleck an ihm sind die knallgelben Sneakers. Er heißt Nils. Seine Frage, ob ich Kaffee will, beantworte ich mit ja. Das Mädel, das ihn bringt, checkt mich mit Blicken, als ginge es um ihren Job. Dabei gehtʼs um einen anderen.
„Deine Referenzen sind top“, sagt Nils. „BBDO in Düsseldorf, Saatchi in Frankfurt, Jung von Matt in Hamburg. Da frag ich mich: Was willst du bei uns? Wir sind kein großer Fisch.“
Nils ist Creative Director bei Euro-Team, einer Werbeagentur in Stuttgart. Stuttgart ist nicht die Stadt, die man wählt, wenn man Karriere im Kopf hat. Bisher hatte ich Karriere im Kopf, und der Beweis dafür ist die Mappe, die vor Nils auf dem Schreibtisch liegt. Die Kampagnen darin sind vom Feinsten. Die Preise, die ich gewonnen habe, ebenfalls. Nils weiß, dass eine Texterin von meinem Kaliber ihm den Job streitig machen wird. Er weiß aber auch, dass er durch mich zu Ruhm und Ehre und damit zu Geld kommt. Ich sehe ihm an, wie er das Für und Wider abwägt.
„Mein Freund arbeitet in Stuttgart“, sage ich, „das heißt, mein Mann.“
Mein Mann zu sagen, fällt mir noch immer schwer, obwohl Calvin und ich seit zwei Jahren verheiratet sind. Wir feiern Baumwollhochzeit, führen aber noch immer eine Fernbeziehung. Ich habe es satt, alle zwei Wochenenden von Hamburg nach Stuttgart zu pendeln.
„Wo?“, fragt Nils.
„Bei der AV“, sage ich. „Als Eventmanager.“
„Oh“, sagt Nils. Lange Pause. Dann unvermittelt: „Wollt ihr Kinder?“
Da ist sie, die Gretchenfrage. Sie zu bejahen heißt, tschüss und danke fürs Gespräch. Sie zu verneinen, lüg doch nicht. Alle Frauen wollen Kinder. Kaum haben sie den Arbeitsvertrag unterschrieben, werden sie schwanger. Aber darin, falsche Wahrheiten zu erfinden, bin ich unschlagbar. Schließlich bin ich Werbetexterin. Schließlich gehöre ich zu den Besten in Deutschland.
„Klar will ich Kinder“, sage ich. „Aber ich krieg keine. Iʼm very sorry. Willst du Details?“
Nils schaut mich an, und ich sehe, nein, er will keine Details.
Ich sage: „Mein Mann ist ein Grund für Stuttgart. Der zweite ist euer Oilily-Etat.“
Oilily ist eine Kinderbekleidungsmarke. Sehr modisch. Sehr exklusiv. Sehr teuer. Euro-Team macht seit kurzem die Werbung dafür. Allerdings nicht gut.
„Nenn es Verschiebung“, sage ich, „nenn es Übersprunghandlung. Nenn es, wie du willst, aber für Oilily findest du keine geeignetere Texterin. Ich weiß besser als alle Mütter dieser Welt, wie Mütter fühlen.“
In Wirklichkeit habe ich keine Ahnung, wie Mütter fühlen, und es interessiert mich
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