Eine begehrenswerte Lady
dem unsteten Licht der Laterne und fragte sich, ob sie ihm die Wahrheit sagte oder nicht. Folter wäre nicht schwer, aber er glaubte nicht, dass er dafür Zeit hatte. Ihm war das nachdenkliche Funkeln in St. Johns Blick nicht entgangen, als er sich vorhin vom Tisch im Ram’s Head erhoben hatte. Verdammt. St. John wäre sich nicht zu schade, Fragen zu stellen und von ihm wissen zu wollen, was er vorgehabt hatte, wenn er zurückkehrte, und je länger er aus der Taverne fortblieb, desto mehr Fragen würde der arrogante Bastard haben.
Es war klug von Stanton, sich wegen St. John Sorgen zu machen. St. John hatte Stanton einen Vorsprung von ein paar Minuten gelassen und war ihm dann von der Wirtschaft aus gefolgt. Der Regen und die einbrechende Dämmerung hatten es ihm leicht gemacht, unbemerkt Stantons Fährte zu folgen, aus dem Dorf hinaus und zur Küste. Aus einiger Entfernung beobachtete er, wie Stanton sein Pferd in eine schmale Senke lenkte, absaß und das Tier an einem Gebüsch festband. Als Stanton ein zusammengefaltetes Bündel vom Sattel nahm und mitnahm, als er aus der Senke stieg, fragte sich St. John, ob er Hirngespinsten nachjagte.
Er schaute auf die öde Landschaft im Regen, und das Brechen der Wellen unten am Kliff war hier oben noch als dumpfes Rauschen zu hören. Außer der halb verfallenen Hütte etwa fünfzig Schritt entfernt konnte er nichts sehen, was Stanton dazu bewegen könnte, die Annehmlichkeiten des Ram’s Head zu verlassen. Stanton war kein Schürzenjäger, und St. John fiel es schwer zu glauben, dass eine Frau dahintersteckte. Also warum war Stanton hier und schlich zu dem wackeligen Gebäude? Er hatte nichts, außer seinem Verdacht und seinem Instinkt – und der Tatsache, dass Stanton schon den ganzen Tag abwechselnd missmutig oder laut und prahlerisch gewesen und auf seinem Stuhl herumgerutscht war, bis ihn schließlich Padgett gefragt hatte, ob irgendetwas nicht in Ordnung sei. Stanton hatte Padgett finster angestarrt, barsch verneint und war ein paar Minuten später mit einer gebrummten Entschuldigung aus der Taverne gestürmt.
Anders als Stanton hatte sich St. John doppelt vergewissert, dass ihm niemand folgte, und als Stanton bei der Hütte angekommen war, saß er ebenfalls ab und band sein Pferd fest. Wie ein Gespenst schlich sich St. John durch den Regen, die scharfen Augen fest auf Stantons dunkle Gestalt auf der Rückseite der Hütte gerichtet.
Bei diesem Wetter hielten sich die meisten vernünftigen Leute drinnen am Feuer auf, sodass ihn der Anblick eines Gigs mit Verdeck verwunderte, das langsam zum Eingang der Hütte fuhr. Also traf sich Stanton doch mit jemandem. Aber mit wem? Und warum solche Geheimniskrämerei? Als Stanton hinter dem Gebäude verschwand, wagte St. John es, den Schutz der Büsche am Rand der Senke zu verlassen. Zwischen seinem Platz und der Hütte gab es keinerlei Deckung, daher blieb ihm nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass der dicht fallende Regen ihn hinreichend verbergen würde, während er dorthin lief. Vermutlich war Stanton ohnehin zu beschäftigt, um irgendetwas zu merken.
Sekunden später presste er sich gegen die baufällige Rückwand des verlassenen Gebäudes und hörte überrascht, wie etwas drinnen gegen die Wand prallte, gefolgt von dem Schrei einer Frau. Sogar über den Wind und den Regen hinweg konnte er Stantons Stimme ausmachen und die einer Frau. Sein Herz begann schwer und heftig zu klopfen, als er verstand, was drinnen gesprochen wurde. Er hätte Gillians Stimme nicht wiedererkannt, aber anhand dessen, was sie sagte, wusste er, dass sie es sein musste. Seine Hände schlossen sich zur Faust, als ihm mit Macht klar wurde, dass er recht gehabt hatte. Er lächelte wild; er wusste, warum diese Brosche für Stanton so wichtig war … Er griff in seine Rocktasche und zog eine Pistole, glitt an der Seite der Hütte entlang und weiter zur Vorderseite. Er hatte viele Jahre auf diesen Moment gewartet. Die Rache war sein, endlich. Es war nur noch eine Sache weniger Minuten …
St. John war so auf das konzentriert, was sich in der Hütte zutrug, dass er fast die Ankunft des Reiters nicht bemerkt hätte, der sein Pferd neben dem Gig anhielt. Es war das Klicken des Zaumzeugs, als der Mann absaß, das ihn auf den Neuankömmling aufmerksam machte.
Das Wissen, dass die Frau in der Hütte Gillian Joslyn war, half ihm, den Mann zu identifizieren, der sich aus dem Sattel schwang: Luc Joslyn. Das hatte ihm noch gefehlt – ein eifersüchtiger
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