Eine Billion Dollar
abartig veranlagt zu sein, ehe sie zugeben, verschuldet zu sein. Offiziell hat niemand Schulden, nach außen hin sind alle happy. Man hat keine finanziellen Probleme, so wenig, wie man sich im viktorianischen Zeitalter hätte anmerken lassen, dass man Geschlechtsorgane besaß.
Was tun? Wirtschaft dient dazu, uns das zu verschaffen, was wir zum Leben brauchen. Das funktioniert nicht ohne Geld, es ist sozusagen das Blut der Wirtschaft. Doch dieses Blut ist krank. Es bewirkt, dass die Wirtschaft ins Absurde wächst und dabei unsere Lebensgrundlagen zerstört. Wäre die Wirtschaft ein Lebewesen, man würde sagen, sie hat eine Art Leukämie. Deshalb bleibt ohne eine Gesundung des Geldwesens alles, was wir zur Rettung der Erde tun könnten, letztlich wirkungslos. Der Konstruktionsfehler muss behoben werden.
Das Telefon klingelte. John sah hoch und spürte erst jetzt, wie seine Augen schmerzten vor Müdigkeit. Er sah auf die Uhr. Kurz nach halb zwei, du meine Güte. Eine Zeit, zu der nur noch Katastrophenmeldungen zu erwarten waren. Er nahm ab. »Fontanelli?«
»Eduardo Vacchi«, sagte jene Stimme, die er seit Ewigkeiten nicht mehr gehört hatte. »Entschuldige, man hat mir gerade gesagt, du bist auf den Philippinen. Ist es sehr spät?«
»Ja. Aber ich war sowieso noch auf.«
»Es geht um Großvater«, sagte Eduardo. »Er liegt im Sterben. Und er hat mich gebeten, dir zu sagen, dass er dich gern noch einmal sehen würde.«
35
Umsteigen in Manila. Eine Maschine nach Bangkok. Es würde weitergehen nach Paris mit Zwischenlandung in Karatchi, von dort nach Florenz, sechsundzwanzig Stunden später. So lange musste Cristoforo Vacchi noch leben, wenn er ihn sehen wollte.
John bekam kaum mit, wo sie waren, ließ sich einfach von seinen Bodyguards dirigieren. Im Manila Airport war die Hölle los, in den Hallen und draußen sowieso. Unglaublich, dass Flugzeuge landen konnten in dem öligen, schwarzen Dunst, der den Himmel verhüllte, aber anderswo, hörte man, sei es noch schlimmer: Der Flughafen von Kuala Lumpur sei schon gesperrt, und in Singapur ginge auch nichts mehr; noch nie habe man so was erlebt, die Krankenhäuser seien überfüllt mit Leuten, deren Augen oder Atemwege den Smog nicht mehr aushielten, die ersten seien schon gestorben.
Endlich erhoben sie sich in die Luft und aus der Dunstglocke heraus. Im Inneren der Maschine hörte es auf, nach Rauch zu stinken. John winkte ab, als die Stewardess ihm Getränke anbot; er wollte einfach nur dasitzen und die Stirn gegen die kühle Fensterscheibe aus Plastik drücken. Das Flugzeug zog eine weite Kurve nach Westen. Von hier oben, aus der strahlenden Höhe der Stratosphäre, sah die Qualmwolke aus wie hässlicher, schwarzer Blumenkohl, bis zum Horizont reichend, eine atmosphärische Geschwulst, wuchernd und quellend und abartig.
Ein metastasierendes Leberkarzinom habe sein Großvater, hatte Eduardo gesagt. Vor anderthalb Jahren sei der Tumor entdeckt worden, relativ langsam gewachsen sei er, wie meist bei alten Leuten, und wegen seines Alters habe man auch nicht mehr viel machen können. Nun ginge es eben zu Ende, rapide. Er solle sich beeilen.
Was für Vorwürfe würde er sich anhören müssen? Im Angesicht des Todes würde der Padrone keine Rücksicht nehmen, würde ihm schonungslos die Meinung sagen. Dass er mit McCaine den falschen Weg eingeschlagen habe, kostbare Zeit vergeudet habe mit dem Aufbau eines Imperiums, das niemandem helfe. Dass er, Cristoforo Vacchi, tief enttäuscht sei von ihm. Dass John doch der falsche Erbe gewesen sei.
Lorenzo hätte es gewusst. Das hallte in ihm, hieb immer auf dieselbe Stelle wie eine chinesische Wasserfolter. Schon dass dieser Artikel noch aufgetaucht war, kam ihm vor wie der Hohn unsichtbarer Schicksalsmächte. Und nicht nur, dass er nie im Leben auf einen derartigen Gedanken gekommen wäre – selbst so verstand er nur ansatzweise, was Lorenzo überhaupt gemeint hatte.
Lorenzo hätte es gewusst, würde Cristoforo Vacchi sagen. Lorenzo wäre der wahre Erbe gewesen.
Alles in ihm zitterte vor dem Moment, in dem er dem alten Mann wieder gegenübertrat. Dabei hätte man es ohne weiteres einrichten können, zu spät zu kommmen. Immerhin, eine Reise um den halben Erdball, keine Kleinigkeit. Niemand hätte ihm einen Vorwurf gemacht.
Niemand außer ihm selbst.
Es war ein eigenartiges Gefühl, wieder hier anzukommen, aus dem Fenster zu spähen und Peretola Aeroporto zu lesen, früh am Morgen, fast wie damals, vor
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