Eine Billion Dollar
der richtige Erbe gewesen. Er –«
»John –«
»Ich habe einen Aufsatz von ihm geschickt bekommen, in dem er das Geldwesen untersucht und herausfindet, dass darin der Fehler steckt, im Geldwesen selbst. Das ist genial. Auf so etwas wäre ich nie im Leben gekommen. Selbst jetzt verstehe ich es noch nicht richtig. Lorenzo hätte gewusst, was zu tun ist, Padrone – ich weiß es nicht.«
»Aber es hat Gott gefallen, Lorenzo zu sich zu nehmen, wenige Tage vor dem Stichtag. Also sind Sie der Erbe. Sie werden den Menschen die verloren gegangene Zukunft zurückgeben, mithilfe des Vermögens. So lautet die Prophezeiung, so wird es kommen. Sie können nichts dafür tun und nichts dagegen, das liegt nicht in Ihrer Macht. Was immer Sie tun, am Schluss wird sich erweisen, dass es richtig war.«
John sah ihn fassungslos an. »Sie glauben immer noch.«
»Ich glaube immer noch, ganz recht. Aber dafür kann ich nichts. Es ist einfach so.« Er schloss die Augen, als müsse er in sich hineinhorchen. »Ich glaube, es ist Zeit für mich, ein wenig zu schlafen. John, ich danke Ihnen, dass Sie gekommen sind. Ich hatte ein wenig Sorge deswegen, ehrlich gesagt…«
Seine Stimme wurde immer leiser, war zum Schluss fast nur noch ein Hauchen, zu schwach, um selbst gegen das Geräusch knitternder Kleidung anzukommen.
John wurde bewusst, dass dies die letzten Worte sein konnten, die er mit dem Padrone sprechen konnte, dem Mister Angelo seiner Kindheit, dem Boten von Sommer und Herbst; dass alles, was es noch zu sagen gab, jetzt gesagt werden musste oder niemals. Er suchte in sich nach Ungesagtem und fand nichts, und so sah er den sterbenden Mann nur hilflos an.
»Ach, dass ich es nicht vergesse«, fiel es Cristoforo Vacchi noch ein, »da ist eine junge Dame zu Gast – Sie kennen sie, glaube ich –, die etwas wahrhaft Erstaunliches entdeckt hat. Das sollten Sie sich einmal ansehen.« Seine spinnendünne Hand wanderte über die Bettdecke und legte sich auf Johns Rechte, ganz leicht, mehr wie ein Schatten als wie ein wirklicher Körperteil. »Leben Sie wohl, John. Und entspannen Sie sich. Sie werden sehen, letztlich wird alles gut.«
Damit glitt die Hand wieder zurück, legte sich kraftlos neben den ausgezehrten Körper, der fast nicht auszumachen war unter der Decke. Einen Moment glaubte John entsetzt, den Augenblick seines Todes mitzuerleben, aber Cristoforo Vacchi schlief nur ein. Bei genauem Hinsehen konnte man erkennen, wie sein Brustkorb sich unmerklich hob und senkte.
John stand behutsam auf, bemüht, kein Geräusch zu machen. Ob er den Stuhl zurückstellen sollte? Besser nicht. Er sah auf den Padrone hinab und versuchte zu begreifen, dass dies das letzte Mal sein konnte, dass er ihn lebend sah – und begriff es doch nicht, begriff nur, dass er gut daran tat, Abschied zu nehmen, wie immer man das machte. Er starrte ihn an in dem Versuch, den Augenblick festzuhalten, der Zeit zu entreißen und zu bewahren, zumindest in der Erinnerung, aber alles entglitt ihm. Noch nie hatte er so sehr gespürt, mit welcher Unnachgiebigkeit die Zeit verging.
Schließlich gab er es auf, etwas zu erreichen, sah den Mann einfach nur an, der so unfassbares Vertrauen in ihn gesetzt hatte, stand da und schaute, bis so etwas wie Frieden in ihm entstand und das Wissen, dass es genug war. Dann wandte er sich ab und ging.
Erst als er draußen war und die Tür des Schlafzimmers leise hinter sich schloss, merkte er, dass seine Wangen feucht waren und seine Kehle schluchzte.
Sie saß am Tisch, als gehöre sie zur Familie, blass und ernst, und John musste einen Augenblick überlegen, woher er sie kannte: richtig, damals im Archiv. Die deutsche Geschichtsstudentin, die das Testament übersetzt und die Geschichte der Prophezeiung publik gemacht hatte. »Ursula Valen«, brachte sie ihm ihren Namen in Erinnerung, als er sie begrüßte.
Damals hatte er sich ziemlich aufgeregt über sie, so viel wusste er noch, aber nicht mehr, warum eigentlich. »Der Padrone meinte, Sie hätten etwas entdeckt, das ich mir unbedingt ansehen solle«, sagte er.
Sie hob erstaunt die Augenbrauen. »Das hat er Ihnen gesagt? Erstaunlich.«
»Wieso?«
»Ach, nur so. Sie werden es verstehen, wenn Sie es sehen.« Sie machte eine Geste. »Sobald das hier… na ja, vorbei ist.«
Aber so schnell ging das nicht. Sie saßen und warteten, und der Arzt schüttelte jedes Mal den Kopf, wenn er die Treppe herunterkam. »Das habe ich noch nicht erlebt, dass jemand so friedlich ist im
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