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Eine Billion Dollar

Eine Billion Dollar

Titel: Eine Billion Dollar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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in der Praxis auch bezahlt – aber mit dem Ergebnis, dass das Geld eben anderswo fehlt. Und wo Geld fehlt, muss man wieder Kredite aufnehmen, in der Hoffnung, diese später abzuzahlen. Das Finanzwesen ist ein großes System, in dem sich vieles verteilt, ausgleicht, erst mit Verzögerung wirksam wird, aber eines passiert nicht: Es geht nichts verloren, nicht eine einzige müde Lira. Es läuft im Endeffekt darauf hinaus, dass – irgendwann und um hundert Ecken herum – ein weiterer Kredit bei der Zentralbank aufgenommen wird, um die Zinsen für den ersten zu bezahlen.
    Wäre die Wirtschaft ein Mensch, wir würden sagen: Er ist süchtig. Die Zentralbank hat ihn angefixt.
    Es geht auch anders. Ihr erinnert euch an das Jubiläumsfest an unserer Schule letztes Jahr. Jeder von uns bekam einen roten Plastikchip als Gutschein für ein Stück Pizza, einen blauen Chip als Gutschein für eine Cola und einen grünen Chip als Gutschein für ein Eis. Für die Dauer des Festes waren diese Chips Geld. Ich habe meinen grünen Chip gegen einen roten eingetauscht, weil ich kein Eis mag. Einen habe ich gesehen, der alle Chips gegen blaue getauscht hat, weil er durstig war. Alles hat prima funktioniert, jeder hat mehr oder weniger bekommen, was er wollte. Und als das Fest vorbei war, hat unser Rektor die Chips weggeworfen, weil die Pizzen gegessen, die Colas getrunken und vom Eis auch nichts mehr übrig war.
    Stellt euch vor, die Firma, die diese Chips herstellt, hätte sie ihm nicht einfach verkauft, sondern gesagt: Hier haben Sie tausend rote Chips – aber wir wollen dafür tausendunddreißig rote Chips wiederhaben. So dumm, dass er nicht gemerkt hätte, dass das Blödsinn ist, ist nicht einmal unser Rektor.
    Nein, was wir auf diesem Fest erlebt haben, ohne uns dessen bewusst zu sein, war ein Geldsystem, wie es sein sollte. Das Geld kam im Gleichgewicht zu den vorhandenen Gütern ins Spiel, und als die verbraucht waren, verschwand es wieder. Es war nur zu dem einen Zweck da, zu dem Geld ursprünglich erfunden wurde: den Tausch verschiedener Güter zu vereinfachen. Auf diese Weise konnte jeder nach der Party ruhig nach Hause gehen. Es war nicht nötig, Chips nachzujagen, die überhaupt nicht existierten.
    Bringen wir es auf den Punkt: Dadurch, dass die Zentralbank Zinsen auf neu geschaffenes Geld verlangt, entstehen mehr Schulden, als es Geld gibt. Das ist der Fehler im System.
    Von da an geht es nämlich weiter wie im Schwarze-Peter-Spiel, nur dass mit jeder Runde mehr Schwarze Peter ins Spiel kommen. Jeder muss versuchen, seine Schwarzen Peter loszuwerden, und das wird umso schwerer, je mehr es davon gibt. Man muss schneller werden, noch härter arbeiten, muss die anderen überflügeln, kann keine Rücksicht mehr nehmen, muss das Letzte aus sich herausholen. Alles beschleunigt sich, ohne Hoffnung auf Entkommen. Die Spirale dreht sich immer weiter und weiter.
    Ist es nicht das, was wir beobachten? Die Wirtschaft wächst und wächst, aber – o Mirakel, o Wunder – überall muss immer stärker gespart werden, die Arbeitsplätze werden knapp, jeder muss härter arbeiten, hat weniger Zeit für sich und seine Familie, die Steuern steigen, jeder hat das Gefühl, dass alles schlechter und schlimmer wird, und das, obwohl doch alle daran arbeiten, dass es immer besser werden soll. Es wird nicht besser. Je mehr wir uns anstrengen, desto mehr Schulden entstehen, nicht zurückzahlbar, unzerstörbar. Je mehr wir versuchen, der Misere zu entkommen, desto schlimmer machen wir sie. Der einzige Ausweg ist, jemand anderen zu finden, der die Zeche zahlt – jemanden weit weg, oder gleich die Natur. Holzen wir halt diesen Regenwald auch noch ab, das bringt Geld, damit kann ich meine Schulden loswerden. Bringen wir noch ein Produkt auf den Markt, das im Grunde niemand braucht, reden wir den Leuten ein, dass sie es doch brauchen, und sei es nur, um ›in‹ zu sein, und lasst es uns so bauen, dass es bald kaputt geht, sodass wir mehr davon verkaufen. Lasst uns den Leuten das Geld aus der Tasche ziehen, mit allen Mitteln, damit wenigstens wir unsere Schulden bezahlen können. Vergraben wir den Giftmüll einfach, wir können es uns nicht leisten, für seine Entsorgung zu zahlen. Jeder ist sich selbst der Nächste, jeder kämpft für sich allein.
    Das Heimtückische daran ist, dass Schulden etwas so Privates sind, etwas Geheimes. Die meisten Leute behalten ihre Schulden für sich wie ein Zeichen persönlichen Versagens. Sie würden eher zugeben, sexuell

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