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Eine blaßblaue Frauenhandschrift

Eine blaßblaue Frauenhandschrift

Titel: Eine blaßblaue Frauenhandschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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große Summe telegraphisch nachsenden. Den ganzen Tag wühlte ich mit Fanatismus in Damast, Leinen, Seide, Spitzen, in Bergen von forzarten Damenstrümpfen. Welch ein unbeschreiblicher Kitzel für mich, als in Vera das Eis der Intelligenz schmolz und das entzückte Weibchen hervortrat, in seiner ganzen holden Fremdartigkeit und mit der bedingungslosen Hingabe an den Mann, die diesem Stamme eignet. Ich sehe sie nicht, hoher Gerichtshof, aber ich fühle, wie wir durch die Straßen gehen, Hand in Hand, die Finger ineinander verschränkt. Wie fühle ich die Melodie des einverstandenen Schrittes neben mir! Nichts Schöneres habe ich erlebt als dieses Hand in Hand und Schritt bei Schritt. Doch während ich es voll erlebte, genoß ich zugleich mit einem tiefen Schauder den mörderischen Tod, den ich unsrer Gemeinschaft zu bereiten im Begrife stand. Und dann kam eines Tages der Abschied. Für Vera war’s ein froher Abschied, denn ich sollte sie ja nach kurzer Trennung für immer zu mir nehmen. Ich sehe ihr Gesicht unter meinem Waggonfenster nicht. Es muß mich angelächelt haben aus der Fülle seines ruhigen Glaubens. »Leb wohl, mein Leben«, sagte ich. »Noch vierzehn Tage und ich hole dich ab.« Als ich aber dann allein in meinem Abteil saß, zusammengesunken nach so vielen Wochen der Spannung, da verfel ich in eine Art narkotischen Schlafs. Ich schlief stundenlang, unerweckbar, und versäumte es, in einer großen Station den Zug zu wechseln. Nach einer sinnlosen Reise gelangte ich nachts in eine Stadt, die Apolda hieß. Das weiß ich. Vera sehe ich nicht mehr, doch ich sehe deutlich die traurige Bahnhofswirtschaft, wo ich den Morgen erwarten mußte …
    So hätte Leonidas sprechen müssen. So hätte er auch vor jedem Gericht in zusammenhängender Darstellung sprechen können, denn jedes Steinchen dieses Mosaiks war in seinem Bewußtsein vorhanden. Das Gefühl seiner Liebe und Schuld war da, nur die Bilder und Szenen entwichen, wenn er nach ihnen haschte. Und vor allem, die Empfndung eines unerwarteten Prozesses gab ihn nicht frei. Das Wetter aber, diese schreckliche Windstille, als deren innerster Mittelpunkt er durch die Straßen zu gehen meinte, machte jeden Versuch des ›Zurechtlegens‹ immer wieder zunichte. Immer stumpfer und wohliger empfand er den Grif seiner Gedanken. War’s nicht höchste Zeit, eine Entscheidung zu trefen? Stand das Urteil des hohen Gerichtshofes nicht schon fest, der mit bürokratischer Hartnäckigkeit irgendwo in ihm und außer ihm tagte? ›Wiedergutmachung der Schuld an dem Kinde‹, so lautete Artikel  dieses Urteils. Und strenger noch Artikel  ›Wiederherstellung der Wahrheit‹. Durfte er aber Amelie die Wahrheit sagen? Diese Wahrheit würde seine Ehe zerschlagen für immer. Trotz der verfossenen achtzehn Jahre könnte ein Wesen wie Amelie seinen Betrug und mehr noch, seine lebenslängliche Lüge nicht verzeihen und nicht überwinden. Er hing in diesen Minuten an seiner Frau mehr als je. Ihm wurde schwach. Warum hatte er Veras verfuchten Brief nicht zerrissen?!
    Leonidas hob die Augen. Er ging soeben an der Sitrnseite des Hietzingers Parkhotels vorbei, wo Fräulein Doktor Wormser wohnte. Freundlich grüßten die Balkonreihen, an denen sich der wilde Wein mit seinen hundert rötlichen Tönungen da hinrankte. Es mußte ein reizender Aufenthalt hier sein, jetzt im Oktober. Die Fenster gingen auf den Schönbrunner Park hinaus, rechts auf den Tiergarten, links auf das sogenannte ›Kavaliersstöckl‹ des ehemalig kaiserlichen Schlosses. Vor dem Eingang des Hotels hielt er seinen Schritt an. Es mochte ungefähr zehn Uhr sein. Wahrhaftig keine Stunde, in der ein wohlerzogener Mann einer beinahe fremden Dame seinen Besuch abstatten darf … Hinein! Sich anmelden lassen! Ohne lange Überlegung eine Lösung improvisieren! Aus dem Portal trat ein Herr der Direktion, der den Sektionschef ehrfürchtig grüßte. Himmel Herrgott, kann man nirgends mehr vorüberschleichen, ohne ertappt zu werden?

    Leonidas foh hinüber in den Schloßpark. Ihm war’s gleichgültig jetzt, daß er sich heute gegen seine sonstige Art verspätete und der Minister schon nach ihm gefragt haben mochte. Endlos schwang sich die Allee zwischen barock geschnittenen Taxusmauern in eine verzeichnete Ferne. Dort irgendwo im dunstig Leeren hing die ›Gloriette‹, ein baulicher Astralleib, das Gespenst eines triumphierenden Jubeltors, das ohne Zusammenhang mit der entzauberten Erde in den wohlgeordneten Himmel des Ancien

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