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Eine blaßblaue Frauenhandschrift

Eine blaßblaue Frauenhandschrift

Titel: Eine blaßblaue Frauenhandschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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verliehen. Er atmete sich voll mit der schlecht abgestaubten Würde dieses Raums. Sein Entschluß war unwiderrufich gefaßt. Noch heute wollte er seiner Frau die volle Wahrheit bekennen. Ja! Bei Tisch! Am besten während des süßen Gangs oder zum schwarzen Kafee. Wie ein Politiker, der eine Rede vorbereitet, hörte er sich mit seinem inneren Ohr:
    – Wenn es dir recht ist, lieber Schatz, so bleiben wir noch einen Augenblick sitzen. Erschrick nicht, ich habe etwas auf dem Herzen, das mich seit vielen, vielen Jahren bedrückt. Bis zum heutigen Tage hab ich einfach nicht den Mut gehabt, du kennst mich ja, Amelie, ich ertrage alles, nur keine Katastrophen, keine Gefühlsstürme und Szenen, ich kann’s nicht ertragen, dich leiden zu sehn … Ich liebe dich heute wie ich dich immer geliebt hab, und ich habe dich immer geliebt wie ich dich heute liebe. Unsre Ehe ist das Heiligtum meines Lebens, du weißt, daß ich ungern pathetisch werde. Ich hofe, daß ich mir in meiner Liebe nur wenig habe zuschulden kommen lassen. Das heißt, diese eine, einzige, sehr große Schuld ist da. Es steht bei dir, mich zu strafen, mich sehr hart zu strafen. Ich bin auf alles gefaßt, liebste Amelie, ich werde mich deinem Urteil bedingungslos beugen, ich werde auch unser, das heißt dein Haus verlassen, wenn du es befehlst, und mir irgendwo in deiner Nähe eine ganz kleine Wohnung suchen. Aber bedenke doch, ehe du urteilst, ich bitte dich, daß meine Schuld mindestens achtzehn Jahre zurückliegt und daß keine Zelle unsres Körpers, keine Regung unsrer Seele mehr dieselbe ist wie damals. Ich will nichts schönfärben, aber ich weiß es heute, daß ich während unsrer unseligen Trennung dich nicht so sehr betrogen wie unter einem Teufelszwang gehandelt habe. Glaub es mir! Ist unsre so lange glückliche Ehe nicht der lebendige Beweis? Weißt du, daß wir in fünf, sechs Jahren, wenn du es willst, die silberne Hochzeit feiern werden? Leider Gottes aber hat meine unbegreifiche Verirrung Folgen gehabt. Es ist ein Kind da, das heißt ein junger Mann von siebzehn Jahren. Erst heute habe ich’s erfahren. Ich schwöre dir. Bitte kein unüberlegtes Wort jetzt, Amelie, keine voreiligen, zornigen Entscheidungen. Ich gehe jetzt aus dem Zimmer. Ich lasse dich allein. Damit du ruhig nachdenken kannst. Was du auch über mich beschließen wirst, ich werde mich dieses jungen Mannes annehmen müssen. –
    Das ist nichts! Das ist weichlich und jämmerlich! Ich muß sparsamer reden, kantiger, männlicher, ohne Umschweife und Hinterhalte, nicht so feig, so bettelhaft, so sentimental. Immer wieder kommt bei mir diese alte ekelhafte Sentimentalität an die Oberfäche. Amelie darf keinen Augenblick Glaubens sein, sie könne mich durch Verbannung am härtesten strafen und ich sei in meiner Verwöhntheit, Bequemlichkeit, Verweichlichung rettungslos abhängig von ihrem Gelde. Sie darf sich um Himmels willen nicht einbilden, ich würde mich ohne unser Haus, unsre beiden Wagen, unsre Dienerschaft, unsre zarte Küche, unsre Geselligkeit, unsre Reisen ganz und gar verloren fühlen, obwohl ich mich wahrscheinlich ohne diesen verfucht angenehmen Embarras wirklich verloren fühlen werde. Leonidas suchte eine neue knappe Formulierung für seine Beichte. Wiederum mißlang’s. Als er bei der vierten Fassung hielt, schlug er plötzlich wütend die Faust auf den Tisch. Scheußliche Sucht des Beamten, alles zu motivieren, alles zu unterbauen! Lag nicht das wahre Leben im Unvorhergesehenen, in der Eingebung der Sekunde? Hatte er, auf den Grund verderbt durch Erfolg und Wohlergehen, schon mit fünfzig Jahren verlernt, wahr zu leben? Der Sekretär klopfte. Elf Uhr! Es war Zeit. Leonidas packte mit einem ungnädigen Ruck die Mappe, verließ sein Büro und schritt schallend durch die langen Gänge des alten Palastes und über die prächtige Freitreppe in das Reich des Ministers hinab.
    Der rote Salon war ein ziemlich kleiner, mufger Raum, den der grüne Beratungstisch fast zur Ganze ausfüllte. Hier wurden zumeist die intimeren Sitzungen des Ministeriums abgehalten. Vier Herren waren bereits versammelt. Mit seinem stereotypen Lächeln (begeistert-mokant) begrüßte sie Leonidas. Da war zuvörderst der ›Präsidialist‹, der Kabinettschef des Hauses, Jaroslav Skutecky, ein Mann Mitte Sechzig, der einzige, der im Rangalter über Leonidas stand. Skutecky erschien mit seinem altertümli chen Gehrock, seinem eisengrauen Spitzbart, seinen roten Händen, seiner harten Aussprache als der

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