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Eine blaßblaue Frauenhandschrift

Eine blaßblaue Frauenhandschrift

Titel: Eine blaßblaue Frauenhandschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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einer Erkenntnis, dergleichen den mäßig gläubigen Mann noch nie eine beschlichen hatte: Ein Kind haben, das ist keine geringe Sache. Erst durch ein Kind ist der Mensch unrettbar in die Welt verfochten, in die gnadenlose Kette der Verursachungen und Folgen. Man ist haftbar. Man gibt nicht nur das Leben weiter, sondern den Tod, die Lüge, den Schmerz, die Schuld. Die Schuld vor allem! Ob ich mich zu dem jungen Mann bekenne oder nicht, ich andre den objektiven Tatbestand nicht. Ich kann mich vor ihm drücken. Aber ich kann ihm nicht entkommen. »Es muß sofort etwas geschehen«, füsterte Leonidas geistesabwesend, während ihn eine unausdrückbar bestürzende Klarheit erfüllte.
    Er winkte am Parktor ungeduldig ein Taxi herbei: »Ministerium für Unterricht!«
    Während in ihm ein mutiger Entschluß wuchs, starrte er wie blind in den nur wenig erleichterten Tag.

    Viertes Kapitel
LEONIDAS WIRKT FÜR SEINEN SOHN

    Sogleich beim Eintritt in sein Büro erhielt Leonidas die Meldung, daß ihn der Herr Minister zehn Minuten nach elf Uhr im roten Salon erwarte. Der Sektionschef sah den Sekretär, der ihm diese Meldung überbrachte, sinnverloren an und gab keine Antwort. Nach einer kleinen, verwunderlichen Pause legte der junge Beamte mit behutsamem Nachdruck eine Mappe auf den Schreibtisch. Es werde sich bei der anberaumten Sitzung – so meinte er mit gebührender Bescheidenheit – voraussichtlich um die Neubesetzung der vakanten Lehrstühle an den Hochschulen handeln. In dieser Mappe fnde der Herr Sektionschef das ganze Material in gewohnter Ordnung.
    »Ergebensten Dank, mein Lieber«, sagte Leonidas, ohne die Mappe eines Blickes zu würdigen. Zögernd verschwand der Sekretär. Er hatte erwartet, sein Chef werde wie sonst in seiner Gegenwart das Dossier durchblättern, gewisse Fragen stellen und Notizen machen, um nicht unvorbereitet beim Minister zum Vortrag zu erscheinen. Leonidas aber dachte heute nicht daran.
    Gleich den anderen höchsten Beamten des Staates hegte der Sektionschef keine besondere Hochachtung für die Herren Minister. Diese wechselten nämlich je nach Maßgabe des politischen Kräftespiels, er aber und seine Kollegen blieben. Die Minister wurden von den Parteien empor- und wieder davongespült, luftschnappende Schwimmer zumeist, die sich verzweifelt an die Planken der Macht klammerten. Sie besaßen keinen rechten Einblick in die Labyrinthe des Geschäftsganges, keinen Feinsinn für die heiligen Spielregeln des bürokratischen Selbstzwecks. Sie waren nur allzuhäufg wohlfeile Simplisten, die nichts andres gelernt hatten, als in Massenversammlungen ihre ordinären Stimmen anzustrengen und durch die Hintertüren der Ämter lästige Interventionen für ihre Parteigenossen und deren Familienanhang auszuüben. Leonidas aber und seinesgleichen hatten das Regieren gelernt wie Musiker den Kontrapunkt lernen in jahrelang unablässiger Übung. Sie besaßen ein nervöses Fingerspitzengefühl für die tausend Nuancen des Verwaltens und Entscheidens. Die Minister spielten (in ihren Augen) nur die Rolle politischer Hampelmänner, mochten sie dem Zeitstil gemäß auch noch so diktatorisch einhertreten. Sie aber, die Ressortchefs, warfen ihren unbeweglichen Schatten über diese Tyrannen. Welches Partei-Spülicht auch die Ämter überschwemmte, sie hielten die Fäden in der Hand. Man brauchte sie. Mit dem preziösen Hochmut von Mandarinen blieben sie bescheiden im Hintergrund. Sie verachteten die Öfentlichkeit, die Zeitung, die persönliche Reklame jener Tageshelden – und Leonidas noch mehr als alle andern, denn er war reich und unabhängig.
    Er schob die Mappe weit von sich, sprang auf und begann in seinem großen Arbeitszimmer mit starken Schritten hin- und herzugehen. Welche Kräfte strömten doch von diesem sachlichen Raum auf seine Seele über! Hier war sein Reich, hier und nicht in Amelies luxuriösem Haus. Der mächtige Schreibtisch mit seiner vornehmen Leere, die beiden roten Klubfauteuils mit ihrem verwetzten Leder, das Bücherbord, wo er die griechisch-römischen Klassiker und die philologischen Zeitschriften seines Vaters eingestellt hatte, Gott weiß warum, die Aktenschränke, die hohen Fenster, der Kaminsims mit der vergoldeten Stehuhr aus der Kongreßzeit, an der Wand die völlig nachgedunkelten Bilder irgendwelcher verschollener Erzherzöge und Minister – all diese abgenützten, persönlichkeitslosen Gegenstände aus dem ›Hofmobiliendepot‹ waren wie Stützen, die seinen wankenden Gefühlen Halt

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