Eine Braut fuer den italienischen Grafen
leer und belanglos, und er wünschte sich Ana mit aller Kraft zurück.
Natürlich hatte er sich an diesem Abend auch mit Enrico Viale unterhalten. „Sie war wunderschön, nicht wahr?“, hatte der alte Herr überglücklich gesagt, und erst seine folgenden Worte hatten Vittorio deutlich gemacht, dass er sich damit nicht auf den heutigen Abend bezog. „Es war das Brautkleid ihrer Mutter. Ich bat sie, es zu tragen.“
Einen Moment lang war er sprachlos gewesen. Jetzt verstand er, warum sie in einem Kleid geheiratet hatte, das fürchterlich altmodisch aussah und ihr nicht im Mindesten zu Gesicht stand. Ihre Selbstlosigkeit überraschte und beschämte ihn zugleich. Wie kam er dazu, von Ana dieselbe Loyalität einzufordern, die sie ihrem Vater entgegenbrachte, wenn er selbst bisher weder in der Lage war, ihr gerecht zu werden noch sie zu lieben!
Während er sich von den letzten Gästen verabschiedete, überlegte er erneut, was ihn dazu getrieben hatte, sich mit einer Ehefrau zu belasten. Wieso hatte er sich die Verantwortung für einen anderen Menschen aufgeladen? Wem wollte er damit imponieren? Wen kümmerte es?
Natürlich hatten sich die Leute in der Region über seine unerwartete Rückkehr und die noch überraschendere Hochzeit gewundert. Inzwischen hatte ihm viele Freunde und Winzerkollegen zu verstehen gegeben, wie froh sie waren, dass er endlich seinen legitimen Platz einnahm. Doch darum war es ihm nie gegangen, ihre Billigung war ihm gleichgültig.
In Gedanken versunken, ging er in den Salon, um einen Schlummertrunk zu nehmen.
„Der Abend war ein voller Erfolg.“
Langsam wandte Vittorio sich zu seiner Mutter um, die hinter ihm in den Salon kam. In ihrem eleganten cremefarbenen Seidenkleid wirkte sie kühl und unnahbar, und sie lächelte nicht.
Das ist es: Mir geht es allein um ihre Anerkennung! Die Erkenntnis traf Vittorio vollkommen unvorbereitet. Seit er vier Jahre alt war – damals war sein Bruder zur Welt gekommen –, hatte seine Mutter ihm nie auch nur eine Spur von Interesse oder Zuneigung entgegengebracht.
Im selben Augenblick wusste er, dass er auf Bernardo neidisch war. Sein Streben nach Erfolg, sein Bedürfnis, Mutter und Bruder mit seinen Erfolgen zu beeindrucken, wann immer er aufs Schloss zurückkehrte, war von Rivalität diktiert worden, von Eifersucht.
„So sieht es aus.“
„Bist du nicht zufrieden?“ Constantia trat näher.
War da nicht eine Spur von Sarkasmus in ihrer Stimme gewesen? Vittorio lief ein kalter Schauer über den Rücken.
In seinem Kopf hörte er eine Stimme aus der Vergangenheit: „Geh weg, Vittorio, lass mich allein!“, und er war wieder das verwirrte Kind, das der Mutter seine neueste Zeichnung präsentieren und von ihr in den Arm genommen werden wollte. Doch wie so oft hatte sie sich von ihm abgewandt und ihn zurückgewiesen.
Bernardo dagegen hatte sie immer verhätschelt und verwöhnt. Obwohl er damals noch ein Kleinkind gewesen war, hatte Vittorio genau verstanden, dass sie ihm den Bruder vorzog.
Das erklärte jedoch nicht, wieso er sich ausgerechnet jetzt an seine Kindheit erinnerte! Die abweisende Haltung seiner Mutter war ihm seit Langem vertraut, und er hatte gelernt, sie zu ignorieren. Sogar den Verrat, den sie kurz nach dem Tod seines Vaters an ihm begangen hatte, hatte er verdrängt … offensichtlich jedoch nicht vollständig, worüber er sich umso mehr ärgerte.
Es ist lächerlich und beschämend, dass meine Mutter mich heute noch verletzen kann, dachte er zornig, antwortete ihr jedoch äußerlich gefasst: „Ganz im Gegenteil!“
„Dir ist doch nie etwas gut genug! Da bist du ganz wie dein Vater.“
„Das fasse ich als Kompliment auf!“
Sie lächelte höhnisch. „Natürlich!“
„Wo ist Ana?“, erkundigte er sich, um das Thema zu wechseln.
„Was kümmert es dich?“ Seine Mutter warf ihm einen herausfordernden Blick zu.
„Sie ist immerhin meine Frau.“ Nur mit Mühe gelang es ihm, die Fassung zu wahren. Er sehnte sich nach Ana, wollte sie sehen, sie berühren …
„Du liebst sie nicht.“
„Das geht dich nichts an.“
„Tut es das nicht?“ Sie kam einen Schritt näher. Ihre Augen funkelten zornig, doch da war noch etwas anderes, etwas, das er bei einer anderen Frau als Bedauern gedeutet hätte. Wütend hatte er seine Mutter oft genug erlebt, aber reuevoll …?
„Du hast ja keine Ahnung, was es heißt, jemanden zu lieben, der dich nicht liebt.“
Wie konnte ausgerechnet sie ihm das vorwerfen? Immerhin hatte sie ihm ihre
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