Eine Chance für die Zukunft (German Edition)
Sinnen, wie
im Rausch.
Ich muss ihn mit meinen
Schlägen tatsächlich getroffen haben, ihm rinnt das Blut aus der Nase. Der
Anblick bringt mich ein bisschen zur Besinnung, ich werde auf einmal eiskalt
innerlich und mich überkommt eine fast schon tödliche Ruhe. Erst jetzt merke
ich, dass er nicht einmal versucht hat, meine Attacke abzuwehren, als wüsste er
selbst, dass er es nicht anders verdient hat. Ich kann seinen Anblick nicht
länger ertragen und wende mich ab. Als ich die Tür öffne, hält er mich zurück.
„Bitte Annie, geh nicht
weg. Es tut mir leid. Lass es mich erklären.“
„Der Brief erklärt alles
Colin.“, sage ich ohne ihn anzusehen und deute auf das Schreiben vom Gericht,
das auf dem Boden liegt.
„Ich werde meine Tochter
nicht aufgeben. Sie ist mein Leben und das weißt du. Wir sehen uns vor Gericht,
Colin.“
Damit verlasse ich seine
Wohnung. Als ich in den Fahrstuhl steige, sehe ich noch einmal sein Gesicht. Das
Blut tropft ihm ungehindert aus der Nase auf sein weißes Shirt und seine Augen
schwimmen ebenso in Tränen wie meine.
Wie in Trance fahre ich
nach Hause und rolle mich auf der Couch zusammen. Schon wieder hat er mir das
Herz gebrochen. Er will mir das Liebste wegnehmen, das ich habe, meine Lilly.
Ich kann nicht aufhören zu weinen. Schluchzend greife ich zum Telefon,
durchsuche meine Kontakte und drücke auf wählen.
„Chris…“
Ich kann nicht weiter
sprechen, als mein Bruder abnimmt, aber er versteht mich anscheinend auch so.
„Annie, was ist passiert?
Bist du verletzt?“, antwortet er und als ich nicht reagiere: „Ganz ruhig. Ich
komme so schnell ich kann. Bist du zu Hause?“
„Ja.“, bringe ich gerade
noch heraus, dann lege ich das Telefon weg. Ich habe keine Kraft mehr.
Kurz darauf wird an meiner
Tür Sturm geklingelt. Colin.
„Bitte Annie. Lass uns
reden.“, höre ich ihn durch die Tür.
„Annie mach auf! Ich habe
den Anwalt am Tag des Tests beauftragt. Ich dachte, du würdest sie mir
vielleicht vorenthalten wollen. Ich will dir Lilly nicht wegnehmen. Du bist
ihre Mutter.“
Ich vergrabe meinen Kopf
unter den Kissen, damit ich ihn nicht mehr hören muss. Irgendwann scheint er
aufzugeben, es herrscht Stille.
Nach nicht einmal
anderthalb Stunden klingelt es wieder. Diesmal ist es Chris, der von draußen
ruft.
„Annie? Ich bin es. Mach
auf.“
Ich schleppe mich zur Tür
und falle direkt in Chris Arme, als meine Beine mir den Dienst versagen. Mir
ist so schwindelig. Es ist erst gute drei Stunden her, dass der Postbote bei
mir geklingelt hat, aber es kommt mir vor, als wären schon Tage vergangen.
Chris trägt mich zurück aufs Sofa und bettet meinen Kopf an seiner Schulter. Er
hält mich fest im Arm, während ich ihm schluchzend von dem Brief und der Klage
erzähle. Ich lasse nichts aus, nicht einmal, dass Colin meinetwegen geblutet
hat. Er ist stolz auf mich, dass ich mich so gewehrt habe.
Bis zum Nachmittag
überlegen wir gemeinsam, was jetzt zu tun ist. Dann fährt Chris los um Lilly
abzuholen und ein bisschen einzukaufen, während ich eine Anwätin anrufe, die
wir im Telefonbuch gefunden haben und danach versuche mein Gesicht zu
restaurieren und die Spuren des Tages zu überschminken. Lilly soll sich
schließlich nicht zu Tode erschrecken, wenn sie mich sieht. Ich möchte die nächsten
Tage mit ihr so gut es geht genießen. Wenn Colin die Klage weiter durchzieht,
sieht es für mich wahrscheinlich eher schlecht aus. Er ist stinkreich und kann
sich die besten Anwälte der Welt leisten, während ich noch nicht einmal einen
Anwalt kenne. Außerdem gewinnt Geld doch sowieso immer.
Am nächsten Morgen hole
ich mir keinen Kaffee, sondern fahre direkt zu der Anwältin, mit der ich
gestern noch telefoniert habe.
Wir setzen uns in ihr Büro
und ich erzähle ihr die ganze Geschichte von Colin und mir. Naja, fast. Die
Vergewaltigung lasse ich aus, die tut hier ja nichts zur Sache. Sie macht mir
wenig Hoffnungen, dass ich das alleinige Sorgerecht behalten werde. Es wird
mindestens auf ein geteiltes hinauslaufen. Colin ist bewiesenermaßen ihr Vater
und hat ein Recht auf seine Tochter. Außerdem bestätigt sie meine Befürchtung
bezüglich seines Geldes. Wir besprechen noch ein paar Strategien und
Möglichkeiten, dann mache ich mich auf den Heimweg. Wir wollen am Tag vor der
Verhandlung noch einmal miteinander sprechen.
Chris bleibt bis zum
Wochenende und unterstützt mich, wo er nur kann und ich bin in jeder freien
Minute mit Lilly
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