0758 - Die Katzenfrau
Wie immer in den letzten Tagen, die er nicht an seinem Schreibtisch verbracht hatte, war er in Schweiß gebadet. Für ihn waren die Nächte noch schlimmer als die Tage, denn während der hellen Stunden hatte er lange Gespräche geführt. Er hatte sich den Problemen gestellt und erklärt, daß er ein Mörder war. Er hatte die wehrlose Frau auf der Bühne erschossen, einfach so, ohne ein Motiv gehabt zu haben. Und er hätte auch andere Menschen erschossen, wenn es John Sinclair nicht gelungen wäre, ihn durch körperliche Gewalt davon abzuhalten. Aber den Mord hatte er auch nicht verhindern können.
Sir James hatte in seinem Leben noch nie derartige Dinge erlebt. Ausgerechnet er, der dem Gesetz so treu und korrekt gedient hatte, war durch die Manipulation des Dämons in die für ihn ausweglose Lage geraten. Er war auch nicht mehr in den Club gegangen. Die letzten drei Tage waren wie ein Traum vor seinem geistigen Auge abgelaufen. Er hatte an nichts anderes als an diesen einen schrecklichen Vorfall gedacht. Er machte sich Vorwürfe, er schämte sich dafür, er stand schon vor einem Nervenzusammenbruch, aber er hatte sich wieder gefangen und auch mit Vorgesetzten darüber geredet.
Im Innenministerium wußte man Bescheid. Zusammen mit John Sinclair war er dort gewesen, und sein Mitarbeiter hatte dem Minister die Zusammenhänge erklärt. Der Minister hatte Verständnis gezeigt. Er dachte ebenso wie John Sinclair. Diesen Mord konnte man dem Superintendenten nicht anlasten, weil er eben nicht Herr seiner Sinne gewesen war. Eine andere Macht hatte von ihm Besitz ergriffen, und auf seinen Vorschlag den Dienst zu quittieren, hatte sich der Minister nicht eingelassen.
»Wir brauchen Sie noch, Sir James!«
So hatte er gesprochen, und der Superintendent hatte keinen Widerspruch eingelegt, allerdings um eine kleine Pause gebeten, die man ihm auch gewährte.
Formal war er entlastet, aus dem Schneider. Aber da gab es noch sein Gewissen, das ihn quälte, das ihn drückte, das ihn fertigmachte. Immer wieder dachte er an die eine Szene, und wenn er dann in einen Schlaf gefallen war, kehrte sie als Traum zurück und ließ ihn nicht zur Ruhe kommen.
Alles drängte sich hoch, es peitschte in ihn hinein. Permanent wurde er mit den schrecklichen Einzelheiten konfrontiert, bis hin zum tödlichen und blutigen Finale, so daß Sir James erwachte und nicht mehr einschlafen konnte.
Immer in den frühen Morgenstunden. So wie jetzt, als ihn der Traum abermals gequält hatte. Sir James hockte auf der Bettkante und fühlte sich aufgequollen. Die Hände hielt er gegen sein Gesicht gepreßt, hinter der dünnen Haut an der Schläfe spürte er das Zucken, und sein Herz schlug überlaut.
Er konnte nicht mehr schlafen. Er wußte auch, wie sich die Dinge weiterentwickeln würden. Er würde aufstehen, ruhelos durch seine kleine Wohnung wandern und sich dabei in Selbstvorwürfen ergehen. Im Mund hatte er einen Geschmack, als hätte er ein Scheuerpulver verschluckt. Alles war aufgerauht und trocken.
Einen kleinen Vorteil hatten die letzten Tage gebracht. Die große Hitze war verschwunden. Wind aus dem Norden hatte Kühlung gebracht. Die Schwüle war aus den Straßenschluchten vertrieben worden.
Sir James stand auf. Da er seine Brille nicht aufgesetzt hatte, konnte er noch nichts sehen. Das Gestell lag neben ihm auf dem Nachttisch. Er setzte sie auf, und aus der Düsternis des Schlafraums schälten sich allmählich Konturen hervor. Überall an seinem Körper klebte der Schweiß. Sir James fühlte sich ausgetrocknet wie ein alter Schwamm, dem Feuchtigkeit zugeführt werden mußte.
Er betrat die kleine Küche, wo er die Kühlschranktür öffnete. Als er sich bückte und die Mineralwasserflasche hervorholte, schoß ihm wieder durch den Kopf, daß die junge Frau erst dreiundzwanzig gewesen war. Sie hatte am Beginn eines Lebens gestanden, das ihr vor einem Sir James Powell brutal genommen worden war.
Er trank aus der Flasche. Es war ein stilles Wasser. Die mit Kohlensäure versetzten konnte er nicht vertragen, denn seit Jahren schon litt er unter Magenbeschwerden.
Er trank einen großen Schluck. Zwar löschte das Wasser seinen Durst, doch besser fühlte er sich nicht. Sein Gewissen konnte er nicht wegspülen.
Er stellte die Flasche wieder weg. Die Küche kam ihm plötzlich vor wie eine Gefängniszelle. Dorthin hätte er eigentlich gehört. Hinter Gitter, denn er war ein Mörder. Mörder durften nicht frei herumlaufen, sie mußten ihre Strafe verbüßen,
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