Eine Ehe in Briefen
wenn sich die Gelegenheit ergibt, einen Brief nach Samara mitzugeben, aber sollte eine Woche lang keine Gelegenheit sein (ich hoffe, es wird öfter eine geben), werde ich mit meinen undnach Deinen Briefen auf das Postamt nach Samara schicken. Schreibe Du mir, wie ich Dich gebeten habe, so oft als möglich, aber nicht weniger als zweimal in der Woche.
Ich weiß nicht, wie es weitergehen wird, aber bisher bin ich noch nicht vom Zustand der Schwermut befreit. Stjopa ist überaus artig. Lebe wohl Liebste, küsse alle von mir.
14., des Nachts.
[Sofja Andrejewna Tolstaja an Lew Nikolajewitsch Tolstoj]
17./18. Juni [1871]
[Jasnaja Poljana]
Ich schreibe Dir, lieber Freund Ljowotschka, in nicht eben heiterer Stimmung. Hier ist die Njanja erkrankt, und auch Ljowuschka 108 hat Temperatur, leidet an Übelkeit mit Erbrechen. Ich habe deshalb viel Scherereien, doch ich verzage nicht, und alle – Mamá und Hannah, Lisa und Warja – sind mir eine große Hilfe. Seit Du weg bist, schone ich mich sehr 109 , lege mich am Nachmittag ein wenig hin, gehe an die Luft usw. Die anderen Kinder und alle anderen sind wohlauf. Die Kinder pflücken voller Begeisterung Walderdbeeren, sind fröhlich und werden nun bei den Spaziergängen von ihrer Großmutter begleitet, da Hannah mir hilft. [...] Ich erhielt vorhin Deinen Brief, den Du auf dem Schiff an mich schriebst und bin sehr glücklich darüber, daß es Dir gut geht. Zusammen mit Deinem Brief erhielt ich auch einen von Fet 110 und einen von Urussow 111 . [...]
Du schreibst, ich solle Dir alles ganz ausführlich berichten, doch habe ich leider heute gar keine Zeit. Dir zu schreiben, mag ich sehr, dies und Deine Briefe sind mein einziger Trost. Ich schicke Dir ein Photo von mir, das ich am Dienstag in Tula habe aufnehmen lassen.
[...]
Deine Freunde Fet und Urussow sind überzeugt, daß Du anden Griechen erkrankt bist, und ich stimme ihnen zu – dies ist einer der Hauptgründe. 112 [...]
Sei sehr herzlich bedankt für das Nachtgeschirr und das pasde-géant 113 . Sobald es mir etwas besser geht, mache ich mich mit dem Fürsten [Urussow] daran, es aufzustellen. Er sagt, man solle dazu ein paar Soldaten aus der Kaserne anheuern. Für den Anbau haben wir für 450 S[ilber] R[ubel] Wald gekauft. Der Platz vor dem Haus ist bereits voller Stämme und dicker Balken. Bald wird wohl mit dem Bauen begonnen. [...]
Lebe wohl, lieber Freund, ich küsse Dich fest, bald schreibe ich Dir wieder, aber nun habe ich wirklich keine Zeit mehr. Bleibe so lange als möglich, werde gesund, schreibe oft und sei unseretwegen beruhigt.
Sonja.
17. Juni
[Lew Nikolajewitsch Tolstoj an Sofja Andrejewna Tolstaja]
[18. Juni 1871]
[Karalyk]
Ich schreibe Dir den vierten Brief, meine teure Freundin, von Dir habe ich bis jetzt keinen erhalten und konnte auch noch keinen erhalten. Ich erwarte, daß der Bote am Montag Briefe aus Samara bringen wird. Ich kann Dir absolut nichts Angenehmes berichten. Um meine Gesundheit ist es immer noch schlecht bestellt. Seit ich hier angekommen bin, ergreift mich jeden Tag schon um sechs Uhr am Abend Schwermut wie ein Fieber, eine physische Schwermut, ein Gefühl, das ich Dir nicht besser beschreiben kann als so, daß die Seele sich vom Körper trennt. Der Sehnsucht in meiner Seele nach Dir gebe ich mich nicht hin. Und ich denke auch nicht an Dich und die Kinder, ich gestatte es mir nicht, denn wenn ich an Euch dächte, reiste ich sogleich ab. [...]
Wir leben in einer großen Jurte, trinken Kumys (auch Stjopa,den alle dazu einladen); die Beschwernisse des Lebens hier würden Deine Kreml-Seele in Grauen versetzen: Es gibt keine richtigen Betten, kein Geschirr, kein Weißbrot, keine Löffel. Wenn Du uns sehen könntest, wäre es Dir leichter, ein Unglück wie einen nicht durchgebratenen Puter oder einen nicht ausreichend gesalzenen Hefezopf zu ertragen. Doch sind diese Beschwernisse nicht unerträglich, und es wäre sogar heiter, wenn ich nur gesund wäre. So aber stecke ich nur Stjopa mit meiner Schwermut an. Ich sehe, daß er sich langweilt. [...]
Am meisten schmerzt mich, daß ich aufgrund meiner schlechten Gesundheit mich nur als den zehnten Teil dessen empfinde, der ich bin. Ich empfinde kein geistiges oder, was wichtiger ist, kein poetisches Vergnügen. Auf alles blicke ich wie ein Toter, ebenso wie viele, die ich dafür immer verabscheut habe. [...] Und wenn ich eine poetische Stimmung verspüre, dann nur eine ganz säuerliche, weinerliche – und bin versucht, in Tränen
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