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Eine Ehe in Briefen

Eine Ehe in Briefen

Titel: Eine Ehe in Briefen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofja Tolstaja , Lew Tolstoj
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Tolstoj-Kultes ließen sich in der Nähe des Anwesens ihres Meisters nieder und versammelten sich fast täglich um ihn. Ein normales Privatleben wurde unmöglich. Das Heim zerfiel in zwei Parteien, die sich erbittert bekämpften. Auf der einen Seite standen Tschertkow und die jüngste Tolstoj-Tochter Alexandra, auf der anderen Tolstaja und die Söhne. Die Situation eskalierte, als Tschertkow Tolstoj Ende des Jahres 1909 dazu drängte, ein Testament abzufassen, in dem er seine gesamten Schriften »der Allgemeinheit« vermachte. Als Tolstaja zufälligvon diesem Vorgang erfuhr, der auf Tschertkows Drängen vor ihr geheimgehalten worden war, war sie empört.
    Am Morgen des 28. Oktober 1910 verließ Tolstoj sein Heim in Jasnaja Poljana. Tolstaja war außer sich, versuchte ihrem Leben ein Ende zu machen. Sie schickte ihrem Mann, dessen Aufenthaltsort anfangs niemandem bekannt war, verzweifelte Briefe. Zu einer Versöhnung der einander so tief verbundenen Ehepartner kam es gleichwohl nicht mehr. Auf seiner Fahrt in ein neues Leben, die er erst an seinem Lebensabend anzutreten wagte, erkrankte Tolstoj und starb am 7. November 1910. Seine Frau ließ man erst zu ihm vor, als er bereits bewußtlos war.
    Kurz vor seinem Tod sagte Tolstoj zu seiner Tochter Tatjana: »Vieles stürzt auf Sonja nieder, wir haben schlecht gehandelt.« Tolstaja selbst war sich dessen bewußt, daß vieles auf sie niederstürzen würde. Schon bald nach dem Tod des Schriftstellers erschienen Erinnerungen seiner Adepten, die seine Gattin als bösartiges Frauenzimmer darstellten. Gegengewicht hierzu wurden die Briefe Tolstojs an seine Frau, die Tolstaja bereits 1913 in einer Auswahl herausgab. »Nach meinem Tode wird man meine Beziehungen zu meinem Manne und die seinen zu mir möglicherweise falsch beurteilen und darstellen«, heißt es in ihrem Vorwort. »Man möge sich doch für die lebendigen und wahrhaften Quellen interessieren und nach ihnen urteilen und sich nicht um Vermutungen, Nacherzählungen und Erfindungen kümmern!«
    Die Publikation wurde ein großer Erfolg. Die Rezensenten nannten den Band »ein Buch unendlich großer Liebe«, doch sie bemerkten zugleich, daß erst Tolstajas Stimme das Bild dieser großen Liebe vollständig machen würde. Auch von ihren eigenen Briefen an ihren Mann fertigte Tolstaja ein Typoskript an und versah sie mit Anmerkungen. Eine Veröffentlichung jedoch wagte sie nicht.
    Die Briefe Lew Tolstojs an seine Frau (insgesamt 840 Dokumente) wurden unter der Redaktion von M. A. Zjawlowski und P.S. Popow im Band 83 der neunzigbändigen Ausgabe der gesammelten Werke Lew Tolstojs 1938 sowie 1949 unter der Redaktion von P. S. Popow und N. N. Gussew im Band 84 auf Russisch vollständig herausgegeben. Auf Deutsch erschien 1925 eine auf der Auswahl Sofja Tolstajas basierende, von Dmitri Umanski aus dem Russischen übersetzte und mit einer Einleitung der Tolstoj-Tochter Tatjana Suchotina-Tolstaja versehene Ausgabe der Briefe Lew Tolstojs an seine Frau.
    Ein Großteil der Briefe der Schriftstellergattin an Lew Tolstoj (443 von insgesamt ca. 660) wurde 1936, von A.I. Tolstaja und P. S. Popow kommentiert und mit Anmerkungen versehen, zum ersten und einzigen Mal in Rußland publiziert. Sie wurden bisher nicht ins Deutsche oder eine andere Sprache übersetzt.
    In der nun vorgelegten Auswahl von Briefen Lew Tolstojs und Sofja Tolstajas werden hundert Jahre nach dem Tod des Schriftstellers erstmals die Stimmen der Ehegatten einander gegenübergestellt. Sie zeigen psychologisch klare und nüchterne Analysen des Trennenden und führen doch immer wieder zu der Erkenntnis, daß die Ehegatten trotz allem ohneeinander nicht leben können. Ihr Briefwechsel spiegelt nicht nur die Höhen und Tiefen ihrer schwierigen Liebe, sondern zeigt auch die Schriftstellergattin als außergewöhnliche Persönlichkeit.

I. Die erste Ehezeit
    Die ersten beiden Jahrzehnte der Ehe leben die Tolstojs zurückgezogen auf ihrem Landgut Jasnaja Poljana. Tatkräftig unterstützt von seiner Ehefrau, die seine Manuskripte in Reinschrift überträgt, arbeitet der Schriftsteller an den großen Romanen Krieg und Frieden (1863-1869) und Anna Karenina (1873-1878).

1865
    [Lew Nikolajewitsch Tolstoj an Sofja Andrejewna Tolstaja]
    [27. Juli 1865]
    [Woin]
    Sonja! Aus dem Stempel kannst Du ersehen, woher ich schreibe. 66 Ich bin gestern spät am Abend bei den Nowosilzows 67 angekommen und konnte, obwohl ich es wollte, nicht vor dem heutigen Tag um 2 Uhr abreisen.
    Der alte

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