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Eine eigene Frau

Eine eigene Frau

Titel: Eine eigene Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Lander
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Allerdings wurden Zwangsenteignungen von Lebensmitteln durchgeführt, viele sogar, denn es gab in der Region zahlreiche große Güter und Höfe. Die Zwangsmaßnahmen zielten auf die Verhinderung einer Hungersnot ab und waren bereits 1917 auf der Grundlage legaler Beschlüsse der Gemeindeverwaltung eingeleitet worden. Alle politischen Gruppierungen hatten sie abgesegnet.
    Die bewaffneten Roten verschwanden aus der Gegend um Turku, ohne dass es zu Kriegshandlungen gekommen war. Allerdings waren in jeder Ortschaft der Region Schutzkorps gegründet worden, und die hatten während des gesamten Befreiungskrieges, wie sie es nannten, auf ärgerliche und etwas peinliche Art tatenlos herumsitzen müssen. Und dann zogen die Roten auch noch aus eigenem Antrieb ab, ohne von jemandem davongejagt zu werden.
    Die Kämpfe gingen schlicht und einfach an der Region vorbei. Auch die Deutschen unter der Führung von General von der Goltz durften von Hanko im äußersten Südwesten aus ungestört auf der Landstraße vorrücken und gerieten bis Helsinki nicht in Gefechte.
    Nach all dem musste ich dann allerdings zugeben, dass Joel Tammistos Schicksal nach dem Krieg, wie Marja Rusanen es zur Sprache brachte, auch mich irritierte und Fragen weckte. Warum bekam ein Mann, der innerhalb der roten Verwaltung einen so hohen Posten innegehabt hatte, nicht sofort eine Kugel in den Kopf? Warum landete er nicht im Gefangenenlager Tammisaari mit seinen infernalischen Verhältnissen, sondern im Bezirksgefängnis, wo es Schneeballschlachten, Pfannkuchen und Buchhaltungskurse gab?
    Mir fiel ein, dass mir schon einmal etwas Entsprechendes aus der Zeit der roten Regierung untergekommen war. Daraufhin nahm ich mir noch einmal die Erinnerungen des Bauern Mikkola vor und suchte nach der Stelle, an der er seine Haftzeit im Februar 1918 schildert, in der Waschküche der Seefahrtsschule Turku:
    Die Tage im Gefängnis gingen einigermaßen dahin. Abwechslung in die Eintönigkeit brachte die Essenssendung, die zweimal am Tag in der Waschküche eintraf und morgens aus einem Viertel saurem Brot mit Tee und nachmittags normalerweise aus Erbsensuppe bestand. Besondere Freude bereitete die Sendung, die jeden Mittag von Lehtinens Café an Richter Sahlberg ging und normalerweise so umfangreich war, dass sie für alle reichte, obwohl wir am Ende mehr als 20 Mann waren. Mir blieb immerwährend unklar, wie er solche Privilegien haben konnte, dass er sich Kaffee und feines Gebäck bringen lassen durfte, denn anderen wurde es nicht gewährt, obwohl sie darum baten.
    Mikkola berichtet auch, wie die Gefangenen nach einigen Tagen überraschend die Waschküche verlassen und sich in der Eingangshalle aufstellen mussten:
    Anfangs wurde nicht mitgeteilt, zu welchem Zweck, und als man da in der Halle stand, kam einem bereits in den Sinn, wo diese Reise wohl enden würde, vor allem weil man die Roten fluchen, mit den Gewehrschlössern klappern und spotten hörte: »Lasst aus Versehen ein paar Schüsse auf die Schlächter los.«
    Bald teilte man den Gefangenen jedoch mit, sie würden ins Gebäude der Bezirksverwaltung verlegt, um Platz für neue Ankömmlinge zu schaffen. Man ließ sie durch die Stadt marschieren, wo ihnen unter anderem der Trauerzug eines von den Roten getöteten Richters entgegenkam. Am Ziel wartete jedoch eine angenehme Überraschung auf die Gefangenen:
    Im Gebäude der Bezirksverwaltung wurden wir im ersten Stock untergebracht, in sauberen, ausgezeichnet möblierten Zimmern. Zu unserer großen Freude ließen sich die Sitzflächen der gepolsterten Stühle, von denen es viele gab, entfernen, sodass man sie als Kopfkissen verwenden konnte. Auf dem Fußboden lagen außerdem starke, weiche Teppiche. Was für ein kolossaler Unterschied allein was die Schlafplätze betraf! Doch auch im Umgang und im Essen war der Unterschied groß. Darum nannten wir unsere neue Wohnstatt auch das Gefängnis des sozialistischen Idealstaats.
    Einige Tage später durfte Mikkola eine noch erfreulichere Überraschung erleben. Er wurde aus der Haft entlassen, und zwar aufgrund eines Gesuchs, das seine eigenen Arbeitskräfte unterschrieben hatten. Die Namen aller Arbeiter standen auf dem Papier, das mit dem Siegel des örtlichen Arbeitervereins und der Empfehlung eines Rotgardisten versehen war.
    Mikkola durfte Turku noch am selben Tag verlassen, unter der Bedingung, dass sein Fall später vor dem Revolutionsgericht Halikko verhandelt wurde. Wie es dann auch geschah. Die Sache Mikkola lag zweimal

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