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Eine eigene Frau

Eine eigene Frau

Titel: Eine eigene Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Lander
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teils sogar fotografisch dokumentierten Fällen massenweise ohne jegliches Gerichtsverfahren erschossen, etwa in Varkaus oder in Jämsä, wo unter der Macht der gesetzmäßigen Regierung Dutzende Einwohner umgebracht wurden. All das fand außerhalb jeglicher Kriegshandlungen statt und wurde nie in der vom Gesetz verlangten Form untersucht.
    Rotgardisten, die sich ergeben hatten, und Staatsangehörige, die im Rücken der Weißen geblieben waren, konnten einfach umgebracht werden, weil sie Abschaum und Bagage waren. Oder zumindest musste man sie nicht für das halten, was das Genfer Abkommen als »nicht Krieg führende Personen« bezeichnet, und es war auch nicht nötig, die Vorstellung von den »Gesetzen und Gebräuchen des Landkriegs« aus der Haager Konvention auf sie anzuwenden. Da es ja keinen Krieg gab.
    Die Mordtaten, die unter Berufung auf die Weisung zum Erschießen auf der Stelle begangen wurden, kann man aus der Perspektive des internationalen Rechts trotz der Juristerei des finnischen Senats als Verbrechen bezeichnen. Zugleich muss man fragen, mit welcher Vollmacht eine solche Weisung gegeben worden war. Ist die Kette aus Befehl und Verantwortung, die vom Senat über das Hauptquartier und über Mannerheim zu denjenigen führte, die die Taten ausübten, lückenlos? Hält sie der näheren juristischen Betrachtung stand? Durfte der Senat Mannerheim ermächtigen, eine solche Weisung zu geben? Hätte die Führung der weißen Armee schärfer darüber wachen müssen, wie in der Praxis mit der Weisung verfahren wurde?
    Die nächste offene Frage betrifft die Legalität der Standgerichte jenes Frühjahrs. Aufgrund der Urteile eines solchen wurden auch die von Arvi bezeugten Hinrichtungen in Märynummi vorgenommen. Besaßen die Schutzkorpsangehörigen beim Säubern der hinteren Linien das Recht, gemeinsam mit den lokalen Bauern Standgerichte zu bilden, Menschen zum Tod zu verurteilen und die Urteile auf der Stelle zu vollstrecken? Die Standgerichte waren ziemlich heterogene Institutionen. Es sieht so aus, als wären die Hingerichteten von Märynummi durch eines verurteilt worden, das ein adliger Offizier aus Schweden zusammengestellt hatte. Wenn derartige Urteile nun als illegal deklariert würden, was wäre dann der rechtliche Status der Hinrichtungen? Wären sie dann keine Verbrechen? Keine Morde?
    Das weiße Finnland hatte wohl selbst seine Zweifel an der Rechtmäßigkeit seines Vorgehens, zumindest war man erschrocken, was man alles getan hatte. Darauf deutet das im Dezember erlassene »Amnestiegesetz« hin, das diejenigen, die bei den Säuberungen Menschen getötet oder auf der Grundlage von Standgerichtsurteilen Gefangene erschossen hatten, von ihrer Verantwortung befreit. Aus meinen Quellen geht nicht hervor, ob jenes Gesetz überhaupt eines war, ob es nach der rechtlichen Ordnung erlassen wurde, ob es überhaupt erlassen wurde. War das Parlament zusammengetreten, um das Gesetz zu verabschieden, oder handelte es sich nur um eine Proklamation des Senats?
    In der Datenbank des Justizministeriums fand ich schließlich den betreffenden Erlass. Es war die Verordnung 165/18. Laut dieser Amnestieverordnung »wird gegen Personen, die bei der Niederschlagung des Aufstands über das hinausgegangen sind, was für das Erreichen der genannten Zwecke notwendig gewesen wäre, keine Anklage erhoben und keine Strafe ausgesprochen«.
    Ich hatte mir den Kopf über all diese Dinge zerbrochen. Finnland hat sich während seiner gesamten Unabhängigkeit für einen Rechtsstaat gehalten. Kann es sein, dass die Rechtsgelehrten diese Probleme nie behandelt haben? Sicher muss es eine lückenlose Beweiskette, die der näheren Betrachtung standhält, geben, mit der man die Säuberungen und Hinrichtungen des Jahres 1918 aus dem Bereich der Willkür und Kriminalität in die Sphäre des legalen Vorgehens eines Rechtsstaats hinüberretten kann.
    Ich hatte bereits beschlossen, meine Fragen für die unbegründeten Zweifel eines Nichtfachmanns und vielleicht über die Generationen hinweg auch irgendwie an der Sache Beteiligten zu halten, da fiel mir das Buch Schiffbruch der Gesetzlichkeit von Jukka Kekkonen in die Hände. Ich las es und konnte anschließend nicht anders als den Verfasser anzurufen, einen Professor für römisches Recht und Rechtsgeschichte an der Universität Helsinki.
    Ich fragte Kekkonen direkt, ob ein leitender Polizeibeamter Ermittlungen in Gewaltverbrechen einleiten könne, die 1918 in seinem Polizeibezirk begangen wurden.

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