Eine Evatochter (German Edition)
interessieren.«
»Im Gegenteil,« erwiderte er trocken. »Die Frauen, die wie ihr im Zwang und in den Pflichten der Religion erzogen sind, dürsten nach Freiheit, sehnen sich nach Glück, und das Glück, das sie wirklich haben, ist nie so groß und so schön wie das erträumte. Solche Mädchen werden schlechte Frauen.« »Rede von mir,« sagte die arme Eugenie mit bittrem Spott, »aber laß meine Schwester aus dem Spiel. Gräfin Vandenesse ist zu glücklich und ihr Gatte läßt ihr zu viel Freiheit, als daß sie nicht an ihm hinge. Wenn dein Verdacht übrigens zuträfe, hätte sie es mir nicht gesagt.«
»Es ist so,« entschied du Tillet. »Ich verbiete dir, dich irgendwie an der Sache zu beteiligen. Mir liegt daran, daß der Mensch ins Gefängnis kommt. Das laß dir gesagt sein.«
Frau du Tillet ging hinaus.
»Sie wird mir sicherlich ungehorsam sein, und wenn ich auf sie aufpasse, kann ich alles herauskriegen, was sie tun werden,« sagte du Tillet bei sich, als er allein im Boudoir blieb. »Die armen Närrinnen wollen es mit uns aufnehmen!« Er zuckte die Achseln und folgte seiner Frau, oder besser seiner Sklavin.
Die Anvertrauung, die Frau Felix von Vandenesse ihrer Schwester gemacht hatte, hing mit so vielen Einzelheiten ihres Lebens seit sechs Jahren zusammen, daß sie ohne eine kurze Darstellung seiner Hauptereignisse unverständlich wäre.
Zu den hervorragenden Menschen, die ihr Schicksal der Restaurationszeit verdankten, aber von den damaligen Machthabern zu ihrem eignen Unglück den Regierungsgeheimnissen ferngehalten wurden, gehörte neben Martignac auch Felix von Vandenesse, der mit mehreren anderen in den letzten Tagen Karls X. in die Pairskammer abgeschoben wurde. Diese Ungnade, die in seinen Augen freilich nur vorübergehend war, brachte ihn auf den Gedanken zu heiraten. Er tat es wie so viele aus Überdruß an galanten Abenteuern, den wilden Blüten der Jugend. Es kommt schließlich einmal ein Augenblick, da das menschliche Dasein in seinem ganzen Ernste erscheint. Felix von Vandenesse war abwechselnd glücklich und unglücklich gewesen, freilich öfter unglücklich als glücklich, wie alle, die die Liebe seit ihrem Eintritt in die große Welt in ihrer schönsten Gestalt kennengelernt haben. Solche bevorrechteten Wesen werden wählerisch. Wenn sie erst das Leben kennengelernt und Charakterstudien getrieben haben, begnügen sie sich mit einem Ungefähr und finden ihre Zuflucht in völliger Nachsicht. Man täuscht sie nicht mehr, denn sie lassen sich nicht mehr enttäuschen, aber sie hüllen ihre Resignation in Anmut. Da sie auf alles gefaßt sind, leiden sie weniger. Immerhin konnte Felix noch für einen der hübschesten und angenehmsten Männer in Paris gelten. Etwas besonders empfahl ihn bei den Damen; das war eins jener edlen Geschöpfe dieses Zeitalters, das aus Schmerz und Liebe zu ihm gestorben sein sollte; aber seine eigentliche Bildung hatte er durch die schöne Lady Dudley erhalten. In den Augen vieler Pariserinnen verdankte Felix, der eine Art Romanheld war, mehrere Eroberungen dem Bösen, das man ihm nachsagte. Frau von Manerville hatte die Reihe seiner Abenteuer beschlossen. Ohne ein Don Juan zu sein, brachte er aus der Welt der Liebe die gleiche Enttäuschung heim, wie aus der politischen Welt. Er war daran verzweifelt, das Ideal der Frau und der Leidenschaft je wiederzufinden, nachdem ihm dessen Urbild zu seinem Unglück gestrahlt hatte. Mit dreißig Jahren beschloß Graf Felix, den Kümmernissen, die ihm seine Eroberungen bereitet hatten, durch eine Heirat ein Ende zu machen.
Eins stand bei ihm fest. Er wollte ein junges Mädchen haben, das in den strengsten Lehren des Katholizismus erzogen war. Er brauchte nur zu hören, wie die Gräfin Granville ihre Töchter erzog, um die Hand der älteren zu erbitten. Auch er hatte die Tyrannei einer Mutter erfahren. Er entsann sich noch lebhaft genug seiner grausamen Jugend, um durch die Verhüllungen des weiblichen Schamgefühls hindurch zu erkennen, was unter diesem Joch aus dem Herzen eines jungen Mädchens geworden war, ob es verbittert, verhärmt, empört, oder ob es friedfertig und liebenswürdig geblieben und bereit war, sich schönen Gefühlen zu öffnen. Die Tyrannei hat ja zwei entgegengesetzte Wirkungen, die sich in zwei großen Gestalten des antiken Sklaventums symbolisieren: Epiktet und Spartakus, Haß und schlimme Gefühle einerseits, Entsagung und christliche Liebe andrerseits. Graf Vandenesse erkannte sich selbst in Maria
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