Eine Evatochter (German Edition)
von einem bösen Geiste geplagt werden und den unerwartetsten Umständen zum Opfer fallen. So war die harmlose, lustige Eugenie dem boshaften Despotismus eines Emporkömmlings verfallen, nachdem sie das mütterliche Gefängnis verlassen hatte. Angelika dagegen, die zu großen Herzenskämpfen gerüstet war, wurde in die hohen Sphären der Pariser Gesellschaft verschlagen und trug den Zügel im Nacken. Offenbar war Frau von Vandenesse unter der Last von Schmerzen zusammengebrochen, die für ihre, nach sechsjähriger Ehe noch harmlose Seele zu schwer waren. Mit angezogenen Beinen und geknicktem Körper lag sie in ihrem Kanapee, den Kopf wie geistesabwesend auf die Lehne geneigt. Sie war nach kurzem Besuch des italienischen Theaters zu ihrer Schwester geeilt. In ihren Haarflechten hafteten noch einige Blumen; andere lagen verstreut auf dem Teppich neben ihren Handschuhen, ihrem seidenen, mit Pelzwerk verbrämten Umhang, ihrem Muff und ihrem Hütchen. Tränen schimmerten zwischen den Perlen auf ihrer weißen Brust. Ihre feuchten Augen deuteten auf seltsame Anvertrauungen. War das inmitten all dieses Luxus nicht furchtbar? Die Gräfin hatte nicht den Mut zu sprechen. »Armes Liebchen,« sagte Frau du Tillet, »welchen falschen Begriff hast du von meiner Ehe, daß du auf den Einfall kamst, mich um Hilfe zu bitten!« Der heftige Sturm, den die Gräfin im Busen ihrer Schwester entfesselt hatte, lockte diese Worte aus ihrem Herzensgrunde hervor, wie die Schneeschmelze die festesten Steine aus dem Bett eines Gießbaches hochreißt. Als sie dies Geständnis vernahm, blickte sie die Bankiersfrau stumpf an. Die Glut des Schreckens dörrte ihre Tränen und ihre Augen blieben starr.
»Bist du denn auch in einem Abgrund, mein Engel?« fragte sie leise.
»Meine Leiden werden deine Schmerzen nicht stillen.«
»Erzähle sie mir, liebes Kind. Ich bin noch nicht so selbstsüchtig, um dir nicht zuzuhören. Wir leiden also wieder gemeinsam, wie in unserer Mädchenzeit?«
»Aber wir leiden getrennt,« entgegnete die Bankiersfrau schwermütig. »Wir leben in zwei feindlichen Lagern. Ich gehe in die Tuilerien, seit du nicht mehr hingehst. Unsere Gatten gehören zwei entgegengesetzten Parteien an. Ich bin die Frau eines ehrgeizigen Bankiers, eines schlechten Menschen, mein Schätzchen! Du hast einen guten, edlen, hochherzigen Mann.«
»Oh! keine Vorwürfe,« versetzte die Gräfin. »Um sie zu verdienen, müßte eine Frau den Kummer eines trüben, farblosen Daseins ausgekostet haben und davon befreit sein, um ins Paradies der Liebe einzugehen. Sie müßte das Glück kennen, das man zeitlebens bei einem andern fände, müßte an den unendlichen Gefühlen einer Dichterseele teilnehmen, ein Doppelleben führen, mit dem Geliebten durch den Weltraum fliegen, mit ihm die Welt der Ehrsucht durchmessen, seinen Kummer mitleiden, auf den Flügeln seiner grenzenlosen Sehnsüchte emporsteigen, auf einer ungeheuren Bühne agieren – und zugleich in den Augen der beobachtenden Welt kalt und heiter erscheinen. Ja, meine Liebe, man muß oft ein ganzes Meer in seinem Herzen tragen und dabei, wie wir jetzt, zu Hause auf einem Lehnstuhl beim Feuer sitzen. Und doch, welches Glück, in jedem Augenblick einen ungeheuren Anteil zu nehmen, der alle Fibern des Herzens vervielfältigt und weitet, gegen nichts kalt zu sein, in raschem Laufe mitgerissen zu werden und aus der Menge ein Auge aufleuchten zu sehen, vor dem die Sonne erblaßt, jeden Aufenthalt als Störung zu empfinden und Lust zu haben, einen lästigen Menschen zu töten, der uns einen jener seltenen Augenblicke raubt, wo das Glück auch in den kleinsten Adern pocht. Welcher Rausch, endlich zu leben! Ach, Liebste, leben, wo so viele Frauen auf den Knien um Gefühle betteln, die vor ihnen entfliehen! Bedenke, Kind, daß es für solche Gedichte nur eine Zeit gibt, die Jugend. In ein paar Jahren kommt der Winter, der Frost. Ach, besäßest du diese lebendigen Schätze des Herzens und ihr Verlust drohte dir ...«
Frau du Tillet hatte entsetzt ihr Gesicht in den Händen verborgen, als sie diese furchtbare Litanei hörte.
»Ich habe nicht daran gedacht, dir den mindesten Vorwurf zu machen, meine Liebste,« sagte sie endlich, als sie heiße Tränen über das Gesicht ihrer Schwester rollen sah. »Du wirfst in einem Augenblick mehr Feuerbrände in meine Seele, als meine Tränen auslöschen könnten. Ja, das Leben, das ich führe, könnte in meinem Herzen die Liebe rechtfertigen, die du mir eben geschildert
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