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Eine Evatochter (German Edition)

Eine Evatochter (German Edition)

Titel: Eine Evatochter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Ausländerinnen, wie Lady Dudley oder die Gräfin Galathionne, so fuhr sie fast allabendlich in die Oper oder ins italienische Theater und nachher in eine Gesellschaft, sei es zur Marquise von Espard, zur Marquise von Listomère, Fräulein Destouches, der Gräfin Montcornet oder der Vicomtesse von Grandlieu, den einzigen offenen aristokratischen Häusern, und nie kehrte sie heim, ohne daß eine schlimme Saat in ihr Herz gesät ward. Man riet ihr, »sich auszuleben«, wie der damalige Modeausdruck lautete, und »verstanden zu werden«, auch ein Wort, dem die Frauen merkwürdige Bedeutung geben. Sie kehrte unruhig, erregt, neugierig und versonnen heim. Sie fand eine gewisse Leere in ihrem Leben, aber sie ging nicht so weit, es für völlig leer zu halten.
    Die amüsanteste, aber auch die gemischteste Gesellschaft von all den Salons, in denen Frau Felix von Vandenesse verkehrte, fand sie bei der Gräfin von Montcornet, einer reizenden kleinen Dame, die berühmte Künstler, die Spitzen der Finanz und hervorragende Schriftsteller empfing, aber erst, nachdem sie sie einer strengen Prüfung unterworfen hatte, so daß auch die anspruchsvollsten Gesellschaftsmenschen nicht zu fürchten brauchten, irgendwen dort zu treffen, der zur zweiten Gesellschaft gehörte. Die größten Ansprüche fanden hier ihr Genüge. Während des Winters, wo die Gesellschaft sich wieder zusammenfand, hatten einige Salons, darunter die der Frau von Espard und von Listomère, des Fräuleins Destouches und der Herzogin von Grandlieu, neue Gäste unter den neuen Größen der Kunst, Wissenschaft, Literatur und Politik gewonnen. Die Gesellschaft verliert ihre Rechte nie, sie will stets unterhalten sein. Bei einem Konzert, das die Gräfin gegen Ende des Winters gab, erschien bei ihr eine der zeitgenössischen Berühmtheiten der Literatur und Politik, Raoul Nathan. Eingeführt hatte ihn einer der geistreichsten, aber trägsten Schriftsteller der Zeit, Emil Blondet, auch eine Berühmtheit, aber unter Ausschluß der Öffentlichkeit, von den Journalisten gerühmt, aber außerhalb des Faches unbekannt. Das wußte Blondet auch; überdies machte er sich keine Illusionen und sagte unter andern verächtlichen Worten, der Ruhm sei ein Gift, das man nur in kleinen Dosen nehmen dürfe.
    Seit dem Augenblick, wo Raoul Nathan sich nach langem Ringen durchgesetzt hatte, verstand er, sich die plötzliche Vorliebe für das Benehmen der eleganten Anhänger des Mittelalters zunutze zu machen, die man scherzhaft junges Frankreich nennt. Er hatte sich das seltsame Gebaren eines Genies zugelegt, indem er dem Kreis jener Kunstverehrer beitrat, deren Absichten übrigens vortrefflich waren. Ist doch nichts lächerlicher, als die französische Sitte des 19. Jahrhunderts; ihr eine neue Form zu geben, erheischte Mut.
    Wir wollen Raoul auch die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß in seiner Persönlichkeit etwas Großes, Phantastisches, Ungewöhnliches liegt, das eines Rahmens bedarf. Seine Freunde oder Feinde – beide sind gleich viel wert – geben zu, daß nichts auf der Welt besser zu seinem Geist paßt als seine Erscheinung. Raoul Nathan wäre vielleicht in seinem natürlichen Wesen noch seltsamer gewesen als in dieser Aufmachung. Sein verwüstetes, zerstörtes Gesicht gibt ihm ein Gepräge, als hätte er mit Engeln oder Teufeln gekämpft. Es gleicht dem Antlitz des toten Heilands, wie ihn die deutschen Meister darstellen: es zeigt tausend Züge eines ständigen Ringens zwischen menschlicher Schwäche und den höheren Mächten. Aber die hohlen Runzeln seiner Wangen, die Höhlungen seines gekrümmten, gefurchten Schädels, seine tiefliegenden Augen und eingefallenen Schläfen lassen seinen Körper nicht schwächlich erscheinen. Seine harten Sehnen, seine vorstehenden Knochen sind von auffallender Festigkeit. Seine durch Ausschweifungen gegerbte Haut spannt sich darüber, wie von inneren Gluten gedörrt, aber das Knochengerüst ist stark. Er ist groß und hager. Sein langes, stets wirres Haar zielt auf Wirkung. Dieser schlecht gekämmte, schlecht gebaute Byron hat die Beine eines Reihers, knotige Knie und eckige Hüften. Seine mit Muskeln bespannten Hände sind fest wie Krabbenfüße, mit hageren, nervösen Fingern. Raoul hat Augen wie Napoleon, blaue Augen, deren Blick die Seele durchbohrt, eine feine gekrümmte Nase, einen reizenden Mund mit dem Schmuck der weißesten Zähne, die eine Frau sich wünschen kann. In diesem Kopf ist Schwung und Feuer, auf dieser Stirn thront Genie.

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