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Eine Evatochter (German Edition)

Eine Evatochter (German Edition)

Titel: Eine Evatochter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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nicht, aber in der Raserei der Wut, in die ihn seine verletzte Eitelkeit versetzt, oder in dem kritischen Augenblick, wo ein Gläubiger ihn bedrängt, überspringt er den Eurotas und triumphiert über die schwierigsten Berechnungen. Dann sinkt er, erschöpft und erstaunt, etwas geschaffen zu haben, in den Sumpf der Pariser Zerstreuungen zurück. Die Not erscheint abermals, bedrohlich: er ist kraftlos, würdigt sich herab und stellt sich bloß. Von der falschen Vorstellung seiner Größe und seiner Zukunft beherrscht, für die er sich ein Muster an der großen Laufbahn eines seiner früheren Kollegen nimmt, eines jener seltenen ministeriellen Talente, das die Julirevolution ans Licht gebracht hat, erlaubt er sich bei denen, die ihn lieben, Barbareien des Gewissens, die in den Geheimnissen des Privatlebens begraben werden, von denen niemand spricht, und über die niemand klagt. Die Banalität seines Herzens, die Schamlosigkeit, mit der er jedem Laster, jedem Unglück, jedem Verrat, jeder Meinung die Hand schüttelt, haben ihn unverletzlich gemacht, wie einen konstitutionellen König. Die verzeihliche Sünde, die bei einem großen Charakter ein Zetergeschrei hervorriefe, existiert für ihn nicht. Sein wenig feinfühliges Benehmen wird ihm kaum angerechnet; jedermann entschuldigt ihn und damit sich selbst. Selbst wer versucht wäre, ihn zu verachten, reicht ihm die Hand, denn er fürchtet, ihn einmal nötig zu haben. Diese scheinbare Gutmütigkeit, die Neulinge besticht und vor keinem Verrat schützt, die sich alles erlaubt und alles rechtfertigt, die bei einer Verletzung laut aufschreit und sie vergibt, ist eins der Hauptkennzeichen des Journalisten. Diese Kameraderie, ein Wort, das ein geistreicher Mann erfunden hat, nagt die schönsten Seelen an. Sie macht ihren Stolz rostig, vernichtet die Grundlage aller großen Werke und heiligt die geistige Feigheit. Indem gewisse Leute diese Schlaffheit des Gewissens bei allen fordern, sichern sie sich Vergebung für ihre Verräterei und für ihren Parteiwechsel. So wird der aufgeklärteste Teil eines Volkes zum wenigst achtbaren.
    Vom literarischen Standpunkt fehlt es Nathan an Stil und Bildung. Wie die meisten ehrgeizigen Jungen in der Literatur, gibt er heute zum besten, was er gestern gelernt hat. Er hat weder Zeit noch Geduld zum Schreiben; er hat nicht beobachtet, aber er hört zu. Unfähig, einen soliden Plan zu zimmern, rettet er sich vielleicht durch den Schwung seiner Zeichnung. Er macht in Leidenschaft, wie es in der Literatursprache heißt, denn in Dingen der Leidenschaft ist alles wahr; der Genius dagegen hat die Aufgabe, aus dem zufällig Wahren das auszuwählen, was allen wahrscheinlich erscheinen muß. Statt Ideen zu erwecken, sind seine Helden vergrößerte Individuen, die nur flüchtige Sympathie erregen. Sie sind nicht mit den großen Fragen des Lebens verknüpft, und somit stellen sie nichts vor; er behauptet sich aber durch seinen raschen Geist, durch jene glücklichen Würfe, die man im Billardspiel »Füchse« nennt. Er ist der geschickteste Schütze, der die auf Paris herabflatternden oder aus ihm aufsteigenden Ideen im Fluge erlegt. Seine Fruchtbarkeit liegt nicht in ihm, sondern in der Zeit; er lebt von den Umständen, und um sie zu beherrschen, übertreibt er ihre Bedeutung. Kurz, er ist unwahr, seine Phrasen sind verlogen; in ihm steckt wie Graf Felix sagte, ein Taschenspieler. Seine Feder nimmt ihre Tinte aus dem Zimmer einer Schauspielerin; das merkt man.
    Nathan ist ein Abbild der heutigen literarischen Jugend mit ihrer falschen Größe und ihrem wirklichen Elend. Er verkörpert sie durch seine regellosen Schönheiten und sein tiefes Herabsinken, durch sein Leben voll schäumender Kaskaden, mit plötzlichen Rückschlägen und unverhofften Triumphen. Er ist ein rechtes Kind dieses von Eifersucht verzehrten Jahrhunderts, wo tausend Nebenbuhlerschaften, in Systeme gekleidet, die Hydra der Anarchie zum eigenen Nutzen mit ihren Enttäuschungen füttern, weil sie Erfolg ohne Arbeit, Ruhm ohne Talent, Gelingen ohne Anstrengung fordert, bis schließlich nach vielen Aufständen, vielen Kämpfen ihre Laster zum Bankrott ihrer Rechnung und zur Unterwerfung unter die Macht führen. Wenn soviel junge Ehrgeizige sich zu gleicher Zeit aufgemacht haben und sich sämtlich ein Stelldichein am selben Fleck geben, so entsteht ein Wettkampf zwischen den verschiedenen Willen, und es kommt zu unsäglichem Elend und erbittertem Ringen. In diesem furchtbaren Kampfe behält

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