Eine Evatochter (German Edition)
Raoul gehört zu der kleinen Zahl von Menschen, die beim ersten Blick auffallen, die in einem Salon sofort einen Brennpunkt bilden, in dem alle Blicke zusammenlaufen. Er fällt auf durch seine Schlampigkeit, wenn man Molières Eliante dies Wort zur Bezeichnung der Unsauberkeit entlehnen darf. Seine Kleider scheinen stets eigens zerknittert, zerknüllt und verschrumpelt zu sein, um zu seiner Erscheinung zu passen. Gewöhnlich hält er eine Hand in seiner offenen Weste und zwar in der Pose, die durch Chateaubriands Bild von Girodet berühmt geworden ist. Aber er nimmt sie weniger an, um ihm zu ähneln (er will keinem ähneln), als um die regelmäßigen Falten seines Hemdes zu zerknittern. Seine Krawatte schlingt er mit einem Ruck um seinen krampfhaft zuckenden Hals, dessen Bewegungen auffällig lebhaft und heftig sind, wie bei Rassepferden, die in ihren Geschirren unruhig sind und beständig mit dem Kopf schlagen, um Gebiß und Kinnkette loszuwerden. Sein langer Spitzbart ist weder gekämmt noch parfümiert, weder frisiert noch geglättet wie bei den Stutzern, die ihren Bart fächerartig oder spitz tragen; er läßt ihn, wie er ist. Seine Haare, die sich zwischen seinen Rockkragen und seine Halsbinde schieben, fallen üppig auf die Schultern herab und scheuern sie fettig. Seine hageren, sehnigen Hände wissen nichts von der Nagelbürste und dem Luxus der Zitrone. Mehrere Feuilletonschreiber behaupten sogar, daß das reinigende Naß ihre verkalkte Haut nicht oft erfrischte. Kurz, der schreckliche Raoul ist grotesk. Seine Bewegungen sind abgerissen, wie bei einem schlecht funktionierenden Mechanismus. Sein Gang spricht durch seinen aufgeregten Zickzackkurs und sein unvermutetes Stehenbleiben, durch das er die friedlichen Bürger auf den Straßen von Paris anrempelt, jedem Ordnungssinn Hohn. Seine Unterhaltung ist voll beißenden Humors und scharfer Bemerkungen, das Gegenstück zu seiner Körperhaltung. Sie springt vom Ton der Rache plötzlich ab und wird ohne Anlaß einschmeichelnd, poetisch, tröstlich, sanft. Seine unerklärlichen Pausen, seine Geistessprünge ermüden bisweilen. Er bringt in die Gesellschaft ein dreistes Ungeschick, eine Verachtung der Formen, eine Neigung zur Kritik gegen alles dort Geachtete mit und wird dadurch zum Feind der kleinen Geister und aller derer, die sich bemühen, die Lehren der alten Höflichkeit in Kraft zu erhalten. Aber es liegt etwas Originelles darin, wie in den chinesischen Kunstschöpfungen, etwas, das die Damen nicht hassen. Übrigens ist er ihnen gegenüber von gesuchter Höflichkeit. Er scheint sich darin zu gefallen, seine wunderlichen Formen vergessen zu machen, über die Abneigungen einen Sieg davonzutragen, der seiner Eitelkeit, seiner Eigenliebe oder seinem Stolze schmeichelt.
»Warum sind Sie eigentlich so?« fragte ihn die Marquise von Vandenesse eines Tages.
»Sind die Perlen nicht in rauhen Schalen?« entgegnete er pomphaft.
Einem andern, der die gleiche Frage an ihn richtete, gab er zur Antwort:
»Wenn ich jedermann gefiele, wie könnte ich da einer unter allen, einer Erwählten, gefallen?«
Raoul Nathan zeigt in seinem Geistesleben die gleiche Unordnung, die er zur Schau trägt. Sein Aushängeschild trügt nicht. Sein Talent gleicht dem der armen Mädchen für alles, die in Bürgerhäusern dienen. Er war zunächst Kritiker, und zwar ein großer Kritiker, aber er fand, daß er sich mit diesem Handwerk selbst im Lichte stand. Seine Aufsätze wären so viel wert wie Bücher, sagte er. Die Theatereinkünfte hatten es ihm angetan. Da er aber zu ruhiger, stetiger Arbeit unfähig war, wie die Bühnenfähigkeit eines Werkes sie erheischt, so hatte er sich mit einem Komödienschreiber du Bruel zusammentun müssen, der seine Ideen ausführte und sie in einträgliche, geistvolle, kleine Stücke umsetzte, die stets Rollen für Schauspieler und Schauspielerinnen enthielten. So hatten sie gemeinsam Florine aufgebracht, eine Schauspielerin für das Rollenfach. Aber Nathan fühlte sich durch dies Kompaniegeschäft, das ihn zum siamesischen Zwilling machte, gedemütigt und versuchte es nun allein im Théâtre français mit einem großen Stücke, das mit allen kriegerischen Ehren, unter den Salven niederschmetternder Artikel, durchfiel. Schon in seiner Jugend hatte er es mit dem großen, edlen französischen Theater versucht und ein prachtvolles, romantisches Stück im Stil von »Pinto« geschrieben, zu einer Zeit, wo der Klassizismus noch unumschränkt herrschte. Das
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