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Eine Frage der Balance

Eine Frage der Balance

Titel: Eine Frage der Balance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana W. Jones
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ein Magid gewesen bist.«
    Unter normalen Umständen wäre ich zutiefst beleidigt gewesen. »Niemals«, sagte ich steif, »wirklich niemals habe ich mich auch nur andeutungsweise an ein früheres Leben erinnert oder dir gegenüber diesbezüglich etwas erwähnt.«
    »Es gibt andere Möglichkeiten, so etwas herauszufinden«, versetzte Stan selbstzufrieden.
    Ich ging nicht weiter darauf ein, dies war nicht der Zeitpunkt für Grundsatzdebatten. »In Ordnung«, sagte ich. »Ich werde jeden auf der Liste sorgfältig auf seine Eignung hin überprüfen.«
    »Und entscheide dich nicht unbedingt für den, der sich am bereitwilligsten zeigt. Teste sie auf Herz und Nieren. Und wenn du soweit bist, deine Wahl zu treffen, richte es ein, daß sie dich bei einem möglichst wichtigen Auftrag begleiten, bevor du anfängst, sie zu unterweisen. Beobachte ihre Reaktionen - wie ich es bei dir im Fall der Mehrwelt-Pornografie getan habe und bei Will im Fall der Ö lkr ise.«
    »Was war es bei S im on?« fragte ich. Niemand hatte es mir je erzählt.
    »Ein Fehler meinerseits«, gab Stan zu. »Jemand betrieb unter dem Deckmantel einer Ehevermittlung einen schwunghaften Sklavenhandel, schleuste Mädchen von Minderwärts über die Erde als Zwischenstation weiter nach Koryfos. Ich ließ Simon die Polizeikräfte sehen, die das Kaiserreich geschickt hatte, um mit mir zu beraten. Die Hälfte von ihnen waren Kentauren. Keine Chance, sie als unentdeckten Indianerstamm vom Amazonas auszugeben. Danach mußte ich ihn als Magid einschreiben lassen - er hatte zuviel gesehen. Zum Glück für mich hat er sich gut herausgemacht. Aber keine Sorge, daß dir ein solcher Patzer unterläuft.«
    »Das will ich nicht hoffen!«
    »Nein, garantiert nicht. Denn sobald es danach aussieht, werde ich einschreiten.«
    »Äh ...« Ich suchte nach Worten, um ihn schonend an die traurige Wahrheit zu erinnern.
    »Ich werde in der Nähe sein und dich im Auge behalten«, sagte er. »Ich habe entsprechende Vorkehrungen getroffen. Ein Magid kann auch körperlos funktionieren, und genau das habe ich vor zu tun, bis du alles auf die Reihe gebracht hast.«
    Ich sagte - ungläubig, aber sicherheitshalber in scherzendem Ton: »Du traust mir also nicht zu, daß ich allein zurechtkomme?«
    »Ich traue dir. Aber du bist erst seit knapp zwei Jahren ein Magid. Und früher war es für alle neuen Magids üblich, einen körperlosen Berater zu haben - so steht es in den Aufzeichnungen vermerkt. Also habe ich die Hohe Kammer gefragt, ob ich bleiben könnte und ein Auge auf dich haben, und sie schienen es vernünf t ig zu finden. Also werde ich in deiner Nähe sein. Verlaß dich drauf.« Er seufzte und schaute in eine Ferne irgendwo jenseits der abblätternden weißen Zimmerdecke.
    Ich seufzte ebenfalls und dachte: Mach dir nichts vor, Stan. Du willst dich einfach nicht für immer verabschieden. Und ich will es auch nicht.
    »Um ehrlich zu sein«, sagte Stan, »ich ertrage es nicht, schon gehen zu müssen. Ich bin erst neunundachtzig. Das ist kein Alter für einen Magid.«
    Ich hatte ihn auf kaum mehr als sechzig geschätzt und sagte ihm das.
    »O ja«, antwortete er. »Ich habe mich gut gehalten, wie die meisten von uns. Dann wird dir eines Tages verkündet: >Das war’s, Junge. Morgen heißt es Abschied nehmen<, und man weiß, daran gibt es nichts zu rütteln. Man hat mir Zeit gegeben bis Sonnenuntergang.«
    Unwillkürlich schaute ich aus dem Fenster. Wir hatten November, die Schatten wurden bereits länger.
    »Kurz vorher kannst du den Arzt anrufen«, sagte Stan und dann eine ganze Weile nichts mehr. Ich ließ ihn noch etwas Wasser trinken, holte mir einen zweiten Becher Kaffee und wartete. Einige Zeit später begann er wieder zu sprechen, sinnend diesmal, rückschauend.
    »Ich habe unsere Welt durch eine Vielzahl von Veränderungen geführt. Ich habe geholfen, eine Menge politischen Müll wegzuräumen, der sich in diesem Jahrhundert aufgehäuft hatte. Wir haben klar Schiff gemacht für die Veränderungen, die das nächste bringen wird. Aber weißt du, am meisten freue ich mich darüber, daß es uns gelungen ist, unsere Welt Richtung Mehrwärts zu bugsieren. Langsam. Vorsichtig. In meiner Kindheit dachte kein Mensch daran, daß es andere Universen geben könnte, ganz zu schweigen von Reisen dorthin. Doch heute schreiben Menschen Bücher darüber, man spricht von Zauberei und früheren Leben, und niemand hält einen deswegen für verrückt. Und ich glaube, ich habe das bewirkt. Ich. Ich habe

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