Eine Frage der Schuld - Mit der Kurzen Autobiographie der Graefin S A Tolstaja
Michailowna?»wollte Anna wissen.
«Bei ihr fanden gesellige Abende statt, da ging
es sehr lebhaft zu, und sie behandelte mich besonders liebenswürdig. Ich habe mit ihr eine sehr fröhliche Zeit verbracht...»
Anna erinnerte sich an diese umtriebige, hemmungslose Jelena Michailowna, der sie am Abend von Bechmetews erstem Besuch zusammen mit ihrem Mann begegnet war und die sie anfangs so eifersüchtig gemacht hatte. Das Haus dieser Jelena Michailowna war für die gesamte Nachbarschaft der Mittelpunkt leichtsinniger Ausgelassenheit, doch ehrenhafte Frauen verkehrten nicht mit ihr.
«Gefallen Ihnen solche Frauen wie Jelena Michailowna? »
«Ich bin ein großer Verehrer von ihr», erwiderte Bechmetew sarkastisch,«eine lustige und nette Gesprächspartnerin...»
«Was ist los mit ihm?»dachte Anna.«Er neckt mich.»
Doch er neckte sie nicht. Es kostete ihn gro ße Mühe, nicht mit der verzweifeltsten, leidenschaftlichsten Liebeserklärung herauszuplatzen. Vor Erregung benahm es ihm den Atem, er war schwach, unglücklich, redete Gott weiß was für Dummheiten, zu denen ihn sein Selbsterhaltungstrieb veranlaßte, er hätte losweinen können, weil er sie betrübte, wußte jedoch, daß er
es nicht wagen würde, ihr zu sagen, daß er nur sie allein auf der Welt liebte, daß er, zu zweit mit ihr in dieser stillen, wundervollen bewaldeten Natur, den Kopf verloren hatte vor Glück und Verzweiflung, weil er sich dies nicht zunutze machen konnte, sondern ihre Ruhe und ihr Glück mit einem anderen Mann behüten mußte.
Anna nahm die Unterhaltung mit Bechmetew nicht wieder auf. Sie trieb das Pferd mit einem kräftigen Peitschenhieb vorwärts und verschwand im Waldesdickicht. Der Weg führte zu dem Bach, an dem der Fürst sie finden sollte. Als Anna das Pferd in Trab setzte, hatte sie den Bach vergessen, und als sie ihn sah, war es schon zu spät, das Tier zu stoppen. Doch der kluge Rappe blieb von sich aus abrupt stehen, so daß Anna aus dem Sattel flog. Bechmetew, der sie eingeholt und alles beobachtet hatte, schrie auf.
Aber Anna war sofort wieder auf den Beinen und klopfte ihr Kleid ab.«Ich bin ganz leicht gestürzt», sagte sie,«und spüre gar keine Prellung. »
«So stürzt man nur auf der Bühne», bemerkte Bechmetew, aber seine Stimme bebte.
«Also, reiten wir weiter», sagte Anna und versuchte sich in den Sattel zu schwingen.
«So kommen Sie nicht hoch, ich helfe Ihnen, wenn Sie gestatten, Fürstin», sagte Bechmetew und hielt Anna seine Hand als Stütze hin.
Sachte nur berührte ihr kleiner Fuß Bechmetews Hand. Durch den dünnen Schuh spürte sie, wie heiß diese war, und plötzlich durchrieselte sie ein Schauer. Ihr wurde schwarz vor Augen, und im selben Moment sah sie ihre Tochter Manja vor sich. Vor ein paar Tagen, als Bechmetew am Abend mit ihr zusammengesessen und ihre Übersetzung korrigiert hatte, waren die Kinder gekommen, um gute Nacht zu sagen. Manja hatte Bechmetew mit zornigen Augen angesehen und sich strikt geweigert, ihm die Hand zu geben. Den Grund erklärte sie keinem und sagte nur:«Nein, ich will nicht.»
«Lieber Gott!»dachte Anna.«Meine liebe arme Manja! Du brauchst keine Angst um mich zu haben, ich liebe dich zu sehr.»
«Nein, so bitte nicht, nein!»schrie Anna auf.
«So kann ich nicht, ich danke Ihnen. Da ist ein Baumstumpf, ich komme allein auf das Pferd hinauf.»
Bechmetew führte das Pferd zu dem Baumstumpf, und just in dem Moment kam der Fürst angeritten. Nachdem er den Besucher verabschiedet hatte, beeilte er sich, seine Frau und den
Freund einzuholen. Die ganze Zeit war er unruhig gewesen. Und als er sah, daß Anna nicht auf dem Pferd saß und dicht bei ihr Bechmetew stand, fuhr ihm ein schrecklicher Verdacht durch den Sinn; er erbleichte und brachte kein Wort heraus. Seine Lippen bebten, er preßte die Zügel zusammen. Seine erste Regung war, beiden einen Hieb mit der Peitsche zu versetzen. Doch dann gewann er die Fassung wieder und hörte sich ruhig an, was seine Frau über ihren Sturz berichtete. Er beschloß, zu Hause mit ihr ein klärendes Gespräch zu führen und dafür zu sorgen, daß Bechmetews Besuche aufhörten.
Als Anna nach Hause kam, warf sie sich unausgekleidet aufs Bett und brach in heftiges Weinen aus.«Ich bin eine Missetäterin, eine erbärmliche, nichtswürdige Frau! Ich liebe ihn und hasse mich dafür! Herr, hilf mir! Kinder, meine Lieben, verzeiht mir!»
Dann erhob sie sich, bekreuzigte sich, wie um ein Gespenst zu verscheuchen, und begann sich
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