Eine Frage der Schuld - Mit der Kurzen Autobiographie der Graefin S A Tolstaja
traurig.
Sie malten schweigend weiter.
«Wie anregend es ist, so zusammenzuarbeiten», sagte Anna.
«Und wie nahe es einander bringt, wie man sich verbunden fühlt durch dieses gemeinsame Arbeiten», sagte Bechmetew leise.
«Wir sollten etwas zusammen übersetzen. Ich lese gerade Amiel, ‹ Fragments d’un journal intime ›, 28 großartig! Allein würde ich es nicht schaffen, aber Sie haben so gute Fremdsprachenkenntnisse.»
«Das wäre wunderbar, wenn es Ihnen ernst damit ist, Fürstin.»
«Warum nicht? Ich liebe geistige Arbeit, und Sie können mir helfen.»
Sie schwiegen wieder. Anna fielen plötzlich die Abende vom Vorjahr ein, ihre glückliche, ruhige Verfassung in Gegenwart dieses Mannes, und stille, lichte Freude erhellte plötzlich ihr ganzes Sein. Sie sah ihn an und fing zufällig seinen Blick auf. Im Ausdruck ihrer sich begegnenden Augen war nichts mehr von jener Strenge, jener Angst vor der Möglichkeit des Aufflammens ehebrecherischer Leidenschaft, sondern eingestandene, froh machende geistige Übereinstimmung, die niemandem zum Schaden gereichen, ihr Leben indes mit Licht, Sinn und unendlicher Freude erfüllen konnte.
Von diesem Tag an wurde Anna wieder ruhig. Lebenskraft, Selbstvertrauen und Sanftmut kehrten zu ihr zurück. Was ihr wichtig erschienen war, was sie beunruhigt hatte, verlor seine Bedeutung. Abendelang arbeitete sie freudig an ihrer Übersetzung. Bechmetew kam fast täglich und half ihr, und da sie den Fürsten häufig in die Arbeit einbezogen, fand auch er Interesse daran und behandelte Bechmetew freundschaftlich und vertrauensvoll.
Einmal, nachdem sie lange an der Übersetzung gesessen hatten, schlug Anna zur Erholung nach dem Essen einen Ausritt vor. Die Bitte, den Ritt mit ihr zu unternehmen, richtete sie an ihren Mann. Der Fürst stimmte bereitwillig zu und sagte, zu Bechmetew gewandt:«Ich hoffe, du kommst mit, Dmitri?»
«Sehr gern.»
Bald standen drei fabelhafte gesattelte Pferde bereit. Anna sah wunderschön aus mit ihrer frischen Gesichtsfarbe und im schwarzen Reitkleid auf einem Rappen. Der Fürst ritt auf einem Zel ter 29 , und für Bechmetew hatte er eine besonders kostbare englische Fuchsstute ausgewählt.
«Ich möchte dir eine Freude mit diesem Pferd machen, sieh doch, wie schön es ist!»
«Ja, eine Pracht! Und wie leichtfüßig es läuft.»
Doch sie hatten erst eine halbe Werst zurückgelegt, als ihnen ein Nachbar von einem abgelegenen Gut begegnete, der in geschäftlichen Dingen zum Fürsten unterwegs war.
«Ach, zu ärgerlich, ich muß umkehren», sagte der Fürst.
«Wie schade!»sagte Anna seufzend.
«Reite du mit Dmitri ruhig weiter, ich komme nach, wenn mein Gespräch mit dem Besucher beendet ist.»
Anna zeigte sich einen Augenblick lang unschlüssig, ob sie mit ihrem Mann umkehren oder mit Bechmetew weiterreiten sollte. Doch plötzlich bekam sie Angst, der Fürst könnte ihr Schwanken bemerken, und sagte ganz schlicht und natürlich:«Gut, wir reiten nur um den Wald herum, du findest uns dann am Bach.»
Der Weg durch den Wald war sehr schmal. Bechmetew und Anna ritten dicht beieinander und schwiegen. Darüber, was sie beide bewegte, konnten sie nicht sprechen, und über anderes reden mochten sie nicht. Das Glück zusammenzusein befriedigte sie voll und ganz. Endlich sagte Bechmetew:«Was haben Sie für Pläne für den nächsten Winter, Fürstin?»
«Ich weiß noch nicht. Die Herausgabe der Bücher meines Mannes zieht sich in die Länge, das
regt ihn auf, und er meint, das Übersenden der Korrekturen verzögere die Sache, deshalb sei es nötig, im Herbst wieder nach Moskau überzusiedeln. Er langweilt sich hier. Mir dagegen widerstrebt allein der bloße Gedanke an die Stadt. Und was haben Sie vor?»
«Wahrscheinlich werde ich wieder ins Ausland gehen. Es steht wirklich schlecht um meine Gesundheit. Ich muß in ein warmes Klima fahren. »
«Sie fahren also weg? Ganz oder zeitweilig?»
«Ich weiß es nicht, Fürstin. Es ist besser, wenn ich wegfahre, das wissen Sie selbst... Ich wage nicht, nach dem Glück zu suchen, und verliere meine Ruhe.»
«Haben Sie sich denn bemüht, nach dem Glück zu suchen?»
Bechmetew antwortete nicht gleich, plötzlich schlug er jedoch einen scherzhaften, lockeren Ton an:«Kennen Sie Ihre Nachbarin Jelena Michailowna? Sie hat sich große Mühe gegeben, mich zu zerstreuen. Eine lustige Dame!... Vorsicht, Fürstin, Sie geben nicht acht, wohin Ihr Pferd tritt, und es ist gestrauchelt.»
«Also, was ist mit Jelena
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