Eine Frage der Zeit
Gouverneursgattin zu Hilfe geeilt. Sie tat das, indem sie ihr perlendes Lachen hören ließ und den Herren empfahl, ihre Unterhaltung doch besser im Salon des Gouverneurspalasts weiterzuführen, wo es angenehm trocken sei und ein kleiner Imbiss bereitstehe. Mit einem Wimpernschlag setzte sie ihren Mann in Bewegung, mit einer leichten Berührung am Ellbogen brachte sie Tellmann dazu, dem Gouverneur zu folgen. Dann schenkte sie Rüter ein bezauberndes Lächeln und bedachte den jungen Wendt mit einem Blick, der um eine wohlberechnete und nicht nachweisbare Sekunde zu lang war, worauf auch diese beiden die weiß zementierte Treppe hinauf zur Hafenstraße unter die Füße nahmen. Die Negersoldaten und ihre Korporale folgten in einigem Abstand, während draußen in der Bucht die erste von neunhundertachtzig Kisten am Ladebaum der Feldmarschall übers Wasser schwebte. Unterwegs erzählte die Gouverneurin ihren Gästen mit einem reizenden britischen Akzent, der einen an zartes Teegeschirr und Picknicks auf saftig grünen Wiesen denken ließ, etwas Wissenswertes über das neue Schwimmdock draußen beim Ankerplatz. Am oberen Ende der Treppe angelangt, streckte sie mit der Grazie einer Balletttänzerin den linken Arm aus, deutete auf einen langgezogenen Schuppen neben dem Bahnhof und sagte: «In diesem Lagerhaus werden wir Ihre Schiffsteile unterbringen, bis Sie an den Tanganikasee weiterfahren. Ihnen ist doch bekannt, dass Sie uns eine Weile Gesellschaft leisten müssen?»
«Verzeihung?», sagte Rüter.
«Sie müssen ein paar Tage in Daressalam bleiben. Sie wohnen im Hotel Kaiserhof, gleich neben der Gouverneursresidenz.»
«Sie sind zu freundlich, Exzellenz», sagte Rüter, «aber unsere Mission duldet keinen…»
«Sie wollen vor mir davonlaufen?» Die Gouverneurin ließ ihr perlendes Lachen hören. «Das wird Ihnen nicht gelingen! Die Bahnstrecke ist leider noch nicht fertig, zehn Kilometer bis zum Ufer fehlen noch. Zwei bis drei Wochen werden Sie wohl oder übel mit unserer Gesellschaft vorliebnehmen müssen.»
In diesem Augenblick brach, als hätte jemand einen Hahn zugedreht, der Regen ab. In der Wolkendecke zeigte sich ein blauer Fleck, der rasch größer wurde, und im senkrecht einfallenden Sonnenlicht erstrahlten die roten Blüten der Akazien in hübschem Kontrast zu den leuchtend weißen Fassaden der Verwaltungs-und Ökonomiebauten. Es war früher Nachmittag, die schläfrigste Zeit des Tages. Ein Ochsenkarren fuhr Steine stadteinwärts, eine nahezu nackte alte Frau trug Reisig stadtauswärts, ein weiß verhüllter Araber gab seinem Esel die Peitsche.
Eine Lücke in der Häuserzeile gab linker Hand den Blick frei auf eine breite, palmengesäumte Seitenstraße. So konnten Rüter, Wendt und Tellmann sehen, dass sich hinter den weißen Fassaden der Verwaltungsbauten ein Meer von einstöckigen Lehmhäusern, fensterlosen Bretterbuden und geflochtenen Palmenblatthütten erstreckte. Nackte Kinder liefen auf der dampfenden Straße umher, Frauen kauerten in Gruppen am Boden, Männer gingen Hand in Hand. Man konnte leises Singen und lautes Lachen hören, und der Wind wehte interessante Gerüche herbei.
«Das Eingeborenenviertel», sagte der Gouverneur lächelnd. «Ein buntes Völkchen, hier in Daressalam übrigens gegenüber den Weißen zehnfach in der Überzahl. Sie müssen vor der Weiterreise unbedingt eine Besichtigung vornehmen, mittlerweile ist das ganz ungefährlich.»
Am Rand des Eingeborenenviertels lag die Hinrichtungsstätte, auf der fünf Galgen in einer Reihe standen, und dann führte die Allee durch einen malerischen Kokospalmenhain, der das Hafenviertel vom Gouvernementsdistrikt trennte. Da der Gouverneur aufs Neue in Schweigen verfallen war und die drei Neuankömmlinge sich darauf beschränkten, vorsichtig interessierte Gesichter zu machen, setzte wiederum Ada Schnee die Unterhaltung fort. Sie wies die Männer auf die üppigen Blumenrabatten beidseits der Straße hin, die von ihren schwarzen Mädchen mit großer Begeisterung gepflegt würden, und deutete hinüber zum Strand, an dem sie jeden Morgen mit ihrem Pferd ausreite. Dann erstattete sie Bericht über die Krankenschwesternschule, die sie selbst ins Leben gerufen hatte, rühmte die Tüchtigkeit der schwarzen Schülerinnen, die man als Pflegerinnen für erkrankte Plantagenarbeiter und verletzte Negersoldaten dringend benötige, und machte scherzhaft Reklame für die deutsch-ostafrikanischen Zahnbürsten, die ein Missionar in Dodoma aus Maultierhaaren
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