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Eine Frage der Zeit

Eine Frage der Zeit

Titel: Eine Frage der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Sander
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davon.
     
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    „Also gut, Chef, womit fangen wir an?“ Sie saß an ihrem Rechner, hatte das Gesicht in die Hände gestützt und schaute ihn erwartungsvoll an.
    Normalerweise mit Kaffee trinken und Zeitung lesen, dachte Max Velten. Als er heute Morgen in sein Büro gekommen war, hatte die junge Kollegin bereits den zweiten, normalerweise freien Schreibtisch gegenüber seinem okkupiert und ihn ungeduldig erwartet. Zwischenmenschliche Kommunikation stand so früh am Tag noch nicht auf Veltens Agenda, erst recht nicht an einem Montag. Die Aussicht, einen offenbar übermotivierten Grünschnabel einweisen zu müssen, versetzte seiner ohnehin angeschlagenen Laune den Todesstoß.
    Die junge Volontärin war von der Verlagsleitung auf die übliche Tour durch die verschiedenen Redaktionen des Morgenkurier geschickt worden, um die Arbeit eines Lokaljournalisten von der Pike auf zu lernen. Velten erinnerte sich dunkel daran, per Mail über ihren Dienstplan informiert worden zu sein. Er hatte jedoch völlig vergessen, dass sie heute bei ihm anfangen würde. In den zurückliegenden drei Monaten hatte sie beim Schwesterblatt Zweibrücker Morgenkurier gearbeitet. Klaus Dörner, der dortige Lokalchef, hatte sie als „ganz niedlich, aber nervtötend“ beschrieben. Missbilligend registrierte Velten, dass die Neue ihren Arbeitsplatz und die angrenzende Fensterbank bereits mit einem digitalen Bilderrahmen, einer Ansichtskarte aus Havanna, einer ganzen Batterie von Kakteen, einer Tasse mit dem Logo der Stadt Mainz und anderen persönlichen Gegenständen dekoriert hatte.
    OK, niedlich ist sie wirklich, dachte Velten. Es schätzte die sportlich wirkende Frau auf sechs- oder siebenundzwanzig. Das hellbraune Haar reichte ihr knapp bis an die Schultern. Wache grüne Augen mit braunen Einsprengseln und ein Muttermal am linken Kinn machten ihr hübsches Gesicht noch interessanter. Wäre sie ein paar Jahre älter... Er schob den Gedanken beiseite. „Ich schlage vor, Sie arbeiten sich erst einmal durch die Agenturmeldungen, Frau...“ Er hatte ihren Namen vergessen. Ohne Kaffee war er nicht zu gebrauchen.
    „Katja Marcks. Marcks mit cks.“
    “Natürlich. Sehen sich an, was seit gestern eingelaufen ist und treffen Sie eine Vorauswahl. Wir unterhalten uns dann später darüber.“
    „Geht klar“, antwortete sie und wirkte wenig begeistert.
    Velten überließ Marcks mit cks erst einmal ihrem Schicksal, um im Nachbarbüro mehr über die Neue zu erfahren. „Im Verlag hält man große Stücke auf sie. Sie hatte schon während ihres Studiums in Mainz einige vielbeachtete Artikel geschrieben“, verriet ihm Renate Knab und schob ihm einen Kaffeebecher über den Tisch. Die langjährige Redaktionsassistentin war wie üblich umfassend über den Flurfunk im Verlag und in den verschiedenen Außenstellen des Morgenkurier informiert. Außerdem galt sie als verlängerter Arm von Chefredakteur Dieter Kreutzer. Renate Knab war knapp sechzig, unverheiratet und kinderlos. Velten wusste, dass sie Städtereisen und klassische Musik liebte. Ansonsten erzähle sie wenig von sich und er stellte keine Fragen nach ihren Privatleben. Er schätzte sie als unendlich fleißige und stets hilfsbereite Kollegin, die ihn akzeptierte, wie er war. Sogar an einem Montagmorgen.
    „Kreutzer lässt dir ausrichten, dass du sie auf Schritt und Tritt mitnehmen und ihr jeden Stein in Waldenthal zeigen. Und dann sagte er noch: ‚Wenn Velten die Neue bloß Pressemitteilungen umdichten lässt, versetze ich ihn sofort in die Online-Redaktion.’“
    Velten musste unwillkürlich grinsen. Er galt unter den jüngeren Kollegen als ‚Internet-Ausdrucker’, der die Erfindung des Taschenrechners für die letzte erwähnenswerte Großtat der Informationstechnologie hielt. Kreutzer wusste sehr gut, dass er der Web-Redaktion den Todesstoß versetzen würde, sollte er Velten tatsächlich dorthin abkommandieren. Er sah sich selbst zwar keineswegs als Überbleibsel aus der analogen Steinzeit, ärgerte sich aber maßlos über die Traditionsvergessenheit, mit der manche Internetjünger über die Zeitungsbranche herfielen. Als ob ein Blatt dadurch besser würde, dass es nicht mehr gedruckt wurde, sondern im Internet zu lesen war. Was für ein Blödsinn! Doch natürlich wusste auch er, dass die ganze Branche im Umbruch und die gute alte Papierzeitung über kurz oder lang zum Aussterben verurteilt war. Wie die meisten Lokaljournalisten fragte sich auch Velten, ob das eigene Blatt diesen

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