Eine Frau flieht vor einer Nachricht
vorgestellt, dass die beiden ihn wie im Traum zwischen sich hin und her wiegen. Als er danach neben Ora lag, hatte er gespürt, wie das Glück langsam pochend in ihn zurückströmte, wie Blut in eine eingeschlafene Hand.
Eins weiß ich heute, das hab ich mir früher nicht vorstellen können, hatte er in einer der Stunden gesagt, in denen ihr Kopf auf seiner Brust ruhte,
Hmm?
Dass man ein Leben lang ohne irgendeinen Sinn leben kann.
Ist das so? sie stützte sich auf ihre Ellbogen und schaute ihn an: Wirklich ohne jeden Sinn?
Wenn du mir früher, als es den Avram seligen Angedenkens noch gab, wenn du mir da gesagt hättest, dass mir ein ganzes solches Leben bevorsteht, ich hätte auf der Stelle Schluss gemacht. Heute weiß ich, so schlimm ist das gar nicht. Es ist durchaus möglich. Du siehst ja.
Aber erklär mir das, was bedeutet ein Leben ohne Sinn?
Er überlegte: Dass nichts wirklich weh tut und nichts wirklich Freude macht. Man lebt, weil man eben lebt. Weil man zufällig nicht stirbt.
Es gelang ihr, sich zu beherrschen und nicht zu fragen, was er empfinden würde, wenn Ofer etwas zustoßen sollte.
Alles spielt sich am anderen Ufer ab, sagte er, und zwar schon lange.
Alles?
Es gibt keine Leidenschaft, sagte er.
Und wenn du so mit mir zusammenbist, fragte sie und bewegte das Becken in seiner Richtung.
Gut, er lächelte, es gibt schon Momente …
Sie legte sich auf ihn. Wieder bewegten sie sich langsam, sie öffnete sich, doch er kam nicht zu ihr, er fühlte sich auch so gut, und er wollte reden.
Ich dachte immer …
Sofort hielt sie in ihren Bewegungen inne, da war etwas in seinem Gesicht, in seiner Stimme.
Wenn du, sagen wir, murmelte er schnell, ein Kind hast, dann ist das der Sinn des Lebens, oder? Das ist etwas, wofür es sich lohnt, morgens aufzustehen?
Hmm. Ja, in der Regel schon, ja.
In der Regel? Nicht immer?
Ora erinnerte sich an einige ganz bestimmte Morgenstunden im letzten Jahr: Nein, nicht immer.
Ach ja? Avram staunte, und ich dachte …
Wieder schwiegen sie, bewegten sich vorsichtig einer um den Körper des andern, sein Fußgewölbe legte sich um ihren Schenkel, seine Hand streichelte ihren Nacken.
Soll ich dir was Merkwürdiges erzählen, Ora?
Erzähl mir was Merkwürdiges, brummelte sie und drückte sich der Länge nach an ihn.
Als ich von dort zurückkam, ja?, als ich anfing zu begreifen, was mir passiert ist, du weißt schon, all das – er machte eine wegwerfende Bewegung mit der Hand –, da hab ich plötzlich kapiert, dass ich auch in Zeiten, in denen ich diese Leidenschaft und diesen Sinn des Lebens noch besaß, irgendwo immer wusste, dass sie nur geliehen sind, nur für eine begrenzte Zeit. Er grinste kurz: Nur bis die Wahrheit rauskommt.
Was ist die Wahrheit, fragte sie und dachte: Die beiden Reihen beim Spießrutenlauf. Die Grausamkeit des Schicksals.
Dass sie nicht wirklich mir gehören, sagte Avram angestrengt und hart, und aus irgendeinem Grund stützte er die Arme auf, schaute siedurchdringend an, und wie einer, der am Ende eines harmlosen Verhörs plötzlich beschließt, auch noch ein furchtbares Verbrechen zu gestehen, fügte er eilig hinzu: dass sie mir überhaupt nicht zustehen.
Ihr kam der Gedanke: Und wenn er ein Kind haben würde?
Was ist los, fragte Avram.
Umarm mich.
Wenn er ein Kind haben würde, dachte sie fiebernd, ein eigenes Kind, das bei ihm groß wird. Wie kommt es, dass ich nie an die Möglichkeit gedacht habe, dass er mal richtig Vater sein könnte …
Ora, was ist los?
Halt mich fest, lass mich nicht los, sie atmete heftig an seinem Hals, du kommst mit mir bis nach Hause, ja?
Aber natürlich, sagte Avram erstaunt, wir gehen zusammen, was hast du denn …
Und wir werden immer, immer zusammenbleiben? Sie warf ihm diese Frage hin, an die sie sich plötzlich erinnerte, ein Versprechen, das er per Telegramm zu ihrem zwanzigsten Geburtstag geschickt hatte.
Bis dass der Tod uns bindet , vervollständigte er ohne Nachdenken seinen Satz von damals.
Und in genau diesem Moment spürte Avram, dass Ofer in Gefahr war. Nie zuvor hatte er so etwas empfunden: Etwas Dunkles, Kaltes schnitt in sein Herz. Ein unerträglicher Schmerz. Er zog Ora fest an sich. Sie erstarrten.
Hast du das gespürt? flüsterte sie ihm entsetzt ins Ohr, du hast das auch gespürt, nicht wahr?
Avram atmete stumm in ihr Haar, kalter Schweiß brach ihm aus.
Denk an ihn, flüsterte sie, schmiegte sich ganz an ihn und nahm ihn in sich auf, denk an ihn, wenn du in mir
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