Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
Vom Netzwerk:
Schrei, der ihr da entfahren war, durch seine Panzerung gedrungen, und Ilan murmelte vor sich hin, hat denn er das alles initiiert? hat denn er gewollt, dass das passiert? war es seine Idee, den Alten da einzuschließen? Erst jetzt bemerkte Ora zwei Streifenwagen mit Blaulicht hinter ihr und links von ihr, die ihr mit den Scheinwerfern signalisierten, rechts ranzufahren, und in ihrer plötzlichen Angst gab sie Gas, wer weiß, wogegen sie jetzt schon wieder verstoßen hatte, erst vor zwei Monaten hatte sie den Führerschein zurückbekommen, nachdem sie ein halbes Jahr lang nicht hatte fahren dürfen. Ich erinnere dich noch einmal daran, dass das ein riesiger Einsatz war, sagte Ilan, sie haben nach Terroristen gefahndet, es gab Schießereien, Ofer hatte achtundvierzig Stunden nicht geschlafen, es war der reine Zufall, dass gerade er und seine Kumpel zu einer Aufgabe beordert wurden, für die sie weder bestimmt noch trainiert waren. Worüber streiten wir hier überhaupt?
    Aber er war in diesem Gebäude, bloß drei Stockwerke weiter oben, hat da gegessen und getrunken und ist die drei Stockwerke hoch und runter gegangen, sagte Ora, fuhr auf den schlammigen Randstreifen, weiter mit Vollgas, hoffte, die Streifenwagen irgendwie abzuhängen, und erst als sie sah, dass sie keine Chance hatte und umzingelt war, hielt sie an, mit Chen und Tom hat er in diesen zwei Tagen mindestens zwanzigmal über Funk gesprochen, er hat zwanzig Möglichkeiten gehabt, zu fragen, ob sie den Alten rausgeholt haben, und was hat er getan? Ilan schwieg. Sag mir, Ilan, was hat unser Sohn getan? hauchte Ora, nun schon stimmlos. Sie hörte, wie Ilan sich Mühe gab, nicht wieder loszupoltern. Drei Polizisten stiegen aus den Streifenwagenund kamen an ihren Wagen. Einer sprach in sein Funkgerät. Ilan sagte, du weißt, er hat vorgehabt, selbst runterzugehen und nachzuschauen. Vorgehabt, ja, ein ihr unbekannter, ekelhafter Spott mischte sich in ihr Lachen, zwei Tage lang hat er es immer wieder vorgehabt, und als er es am meisten vorhatte, da haben sie ihm gesagt, nach Jerusalem sei noch ein Platz frei, nicht wahr? Und dann sind wir mit ihnen essen gegangen, nicht wahr? Und er hat es vergessen, nicht wahr? Sie packte ihren Kopf mit beiden Händen, als würde ihr in diesem Moment überhaupt erst die Tragweite klar: Und an diesem Abend im Restaurant, fast drei Stunden lang, hat er sich nicht erinnert! Ach, Tschuldigung, das muss ich irgendwie verpennt haben! Macht dich das nicht wahnsinnig? brüllte Ora, ihre Halsschlagadern blähten sich auf, sag mir, Ilan, muss man da nicht in die Luft gehen? Jetzt wirst du verrückt, stellte Ilan fest und verbarrikadierte sich hinter einem nüchternen Tonfall, als studiere er sie mit gelassenem Staunen, wie er es bei ihren Streitigkeiten zu tun pflegte, damit sie sich allein in all der Bitterkeit und dem Dreck, die aus ihr hervorbrachen, suhlen sollte. Pass nur bitte auf, wie du in diesem Zustand Auto fährst, fuhr er im beratenden Ton eines Rechtsanwalts fort. Ora verriegelte die Türen ihres Punto von innen, ignorierte das Klopfen der Polizisten und ihre Gesichter, die sich an der Schreibe plattdrückten, einer von ihnen fuhr mit mahnendem Zeigefinger über die halbe Frontscheibe, die vom schlammigen Regen verschmiert und beinah undurchsichtig war; sie legte den Kopf aufs Steuer und murmelte, aber das ist Ofer, kapierst du das nicht, Ilan? Das ist uns passiert, das ist unser Ofer, wie kann es sein, dass Ofer so dermaßen …

Um halb sechs in der Früh, am Fuße des Carmel, lösen Ora und Avram sich voneinander: Er faltet die Zelte und Schlafsäcke zusammen, packt die Rucksäcke, und sie macht sich fertig, um in den nächsten Minimarkt einkaufen zu gehen.
    Wir haben uns schon lange nicht mehr getrennt, sagt sie, kehrt um und umarmt ihn.
    Soll ich mitkommen?
    Nein, bleib du bei den Rucksäcken. Ich brauch nicht lang.
    Ich werde warten.
    Und ich werde zurückkommen, fügt sie hinzu, als sei sie sich dessen nicht so sicher.
    Keine Ahnung, wovor ich plötzlich Angst habe, murmelt sie in seiner Umarmung.
    Vielleicht davor, dass die Zivilisation dich behalten wird, wenn du zu ihr zurückkehrst?
    Sie ist unruhig. Ein unerklärliches hartnäckiges Gerinsel zieht durch ihren Körper, wie unverdaute Traumreste. Sie streckt die Arme aus, schiebt Avram ein bisschen von sich weg und betrachtet ihn, als wolle sie ihn sich einprägen: Jetzt seh ich, dass ich beim Haareschneiden geschludert habe, diesen Zipfel da, den mach ich dir heut

Weitere Kostenlose Bücher