Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
Vom Netzwerk:
damit an?
    Nur summen
    Dass ich ihr vorsing, dass ich ihr vorsumm, die denkt wohl, ich bin ein
    Wäre es umgekehrt, würd ich’s dir vorsingen
    Ich geh
    Geh nicht
    Ich muss zurück
    Wohin?
    Wohin? Wohin? Mich zu meinen Vätern versammeln und in tiefer Trauer in die Unterwelt hinabfahren, dahin muss ich
    Wie bitte? Was hast du da gesagt? Warte, vielleicht kenn ich dich ja? Hey, komm zurück

    Auch in der folgenden Nacht kam er schon vor Mitternacht zu ihr, an die Tür ihres Zimmers; wieder schimpfte er und beschwerte sich, dass sie im Schlaf sang und ihn und die ganze Welt aufweckte. Auch diesmal fragte sie, ob er sagen könne, welches Lied sie gesungen habe, und er murrte, er habe die Nase voll, jede Nacht ihretwegen aufzuwachen und diesen verfluchten Flur langzukriechen, und sie lächelte und fragte, ob sein Zimmer wirklich so weit weg sei, und erst da merkte er, dass ihre Stimme nicht von derselben Stelle kam wie am Tag zuvor oder an dem davor.
    Denn jetzt sitze ich, erklärte sie, und er fragte vorsichtig nach, warum sitzt du denn? und sie, weil ich nicht geschlafen hab, und er, was hast du dann gemacht? und sie, ich hab dagesessen und auf dich gewartet, und er, warum hast du dann gesungen? und sie, ich hab überhaupt nicht gesungen, und er, ach, und sie, echt nicht.
    Beide hatten den Eindruck, als sei das Dunkel noch dunkler geworden. Eine neue Hitzewelle, die vielleicht gar nicht mit der Krankheit zusammenhing, breitete sich in Ora aus, fing bei den Zehen an, stieg auf und trieb ihr rote Flecken auf Hals und Gesicht. Ein Glück, dass es dunkel ist, dachte sie und drückte den Kragen ihres weiten Pyjamas an den Hals. Schließlich räusperte sich der Typ in der Tür schwach und sagte, also, ich muss zurück, und sie, warum eigentlich? Und er sagte, er müsse sich dringend teeren und federn, und sie verstand nicht, aber dann verstand sie doch und lachte aus vollem Hals, komm, du Spinner, hör auf mit dem Theater, ich hab hier neben mir einen Stuhl für dich hingestellt.
    Er tastete sich am Türrahmen, an metallenen Nachttischchen undBetten entlang, bis er irgendwo stehen blieb, sich auf ein leeres Bett stützte und laut schnaufte. Hier bin ich, ächzte er, und sie, komm bis zu mir, und er, warte, lass mich erstmal atmen. Das Dunkel machte ihr Mut, und sie sagte mit lauter Stimme, mit der Stimme ihrer Gesundheit, einer Stimme von Meer, Strandball und Wettschwimmen bis zum Stillen Strand, wovor hast du Angst, ich beiße nicht, und er, in Ordnung, in Ordnung, wir haben’s vernommen, ich leb ja kaum noch. Die unterschwellige Beschwerde in seiner Stimme berührte sie, und auch, wie mühsam er angeschlurft kam. Wir sind ein bisschen wie ein altes Paar, dachte sie.
    Wo bist du überhaupt?
    Ans Ende des Zimmers haben sie mich gelegt
    Autsch!
    Was ist passiert?
    So ein Bett hat plötzlich beschlossen … autsch!
    Noch eins?
    Fuck. Sag mal, vom Gesetz der Gemeinheit …
    Was hast du gesagt?
    Vom Gesetz der Gemeinheit der Gegenstände hast du schon gehört?
    Wann kommt du endlich?
    Ihrer beider Zittern hörte nicht auf, wurde manchmal zu einem langen Schüttelfrost, und wenn sie sprachen, war ihre Rede abgehackt und hastig, nicht selten mussten sie abwarten, bis die Muskeln des Gesichts und des Mundes sich ein bisschen erholten, und dann stießen sie die Wörter schnell und mit verkrampften, hohen Stimmen aus, und das Stottern zerbrach die Sätze in ihrem Mund. Wie-alt-bist-du? Sech-zehn, und-du? Sech-zehn und-ein-vier-tel. Ich-hab-Gelb-sucht, sagte sie, und-was-hast-du? Er sagte, ich-glaub-ei-ne-Ei-er-stock-ent-zün-dung.
    Stille. Er atmete schwer: Üb-ri-gens, das-war-ein-Witz. Sehr witzig, sagte sie. Er seufzte: Ich hab versucht, sie zum Lachen zu bringen, aber ihr Humor ist wohl zu – sie war gespannt und fragte, mit wem er da rede. Er sagte, mit dem, der mir meine Witze schreibt, ich muss ihn wohl feuern. Wenn du dich nicht sofort hier hinsetzt, drohte sie, fang ich an zu singen. Er mimte einen Schüttelfrost und lachte. Sein Lachenknarzte. Wie ein schreiender Esel, so ein Lachen, das sich selbst ernährt, und sie schluckte sein Lachen heimlich wie eine Medizin, wie eine Belohnung.
    Er lachte sehr über ihren kleinen dummen Witz, und fast hätte sie ihm erzählt, dass es ihr in letzter Zeit nicht mehr gelang, die Leute dazu zu bringen, sich vor Lachen zu kringeln, wie früher – »Mit ihrem Humor ist es nicht sehr weit her« – hatte man an der Purimfeier dieses Jahr über sie gesagt, und das war nicht bloß ein

Weitere Kostenlose Bücher