Eine Frau für Caracas
habe es, weiß Gott, nicht geahnt, daß sie zum Veronal greifen würde.«
»Hattest du ihr die Ehe versprochen?«
»Ja, ich wollte sie heiraten. Ich wollte mit ihr sogar in den nächsten Tagen nach Caracas fliegen, wenn uns das Standesamt hier allzu lange hätte warten lassen.«
»Ich möchte annehmen, daß du ihr gestern erklärt hast, daß du sie nicht heiraten wirst.«
»Ich habe es ihr nicht gesagt, aber daß ich sie nicht heiraten würde, ergab sich aus dem Gespräch, das ich mit ihr führte. Es war die logische Konsequenz, man brauchte es nicht mehr auszusprechen.«
»Und deine Gründe?«
»Ich war vorgestern nicht, wie ich dir erzählte, in Mannheim und Köln, sondern in Frankfurt, oder vielmehr in Höchst.«
»Ich habe es fast geahnt...«, sagte Dyrenhoff und legte die Zigarre endgültig weg. »Ich habe nämlich heute die Eyssing-Werke angeläutet. Ich glaubte, es in diesem Falle verantworten zu können, ihren Vater zu benachrichtigen. Ihren Vater...!« er stieß die Luft mit einem heftigen Stoß durch die Nase aus und wiederholte: »Ihren Vater!«
»Es ist mir ein wenig rätselhaft, wie sie bei dir mit diesem Schwindel durch den Scheidungsprozeß und zwei Jahre lang durch deine Kanzlei segeln konnte.«
»Mir auch!« knurrte Dyrenhoff, »aber welchen Grund hätte ich haben sollen, mißtrauisch zu sein?«
»Ja, und welchen Grund hätte ich haben sollen, ihr zu mißtrauen und das Märchen von der guten Herkunft anzuzweifeln, wenn ich nicht einen Tag vorher Severin begegnet wäre!« sagte Werner. »Er war derjenige, der mich dazu veranlaßte , nach Frankfurt zu fahren und mich Dr. Eyssing als Schwiegersohn vorzustellen.«
»Lieber Gott...!« ächzte Dyrenhoff und preßte die Fingerspitzen gegen die Schläfen.
»Ja, mein Lieber, ich kam mir vor, als wenn ich nackt auf dem Stachus stände. Aber es war ein reizender alter Herr, der mir alle Peinlichkeiten ersparte und mir den Mantel seines Wohlwollens um die Schultern hängte. Trotzdem — es war eine scheußliche Situation.«
»Und das erzähltest du ihr gestern abend?«
»Es kam noch etwas ganz anderes dazu. Es kam die Geschichte dazu, die mir Severin über seine Ehe und über seine Verhaftung und Gefängniszeit erzählte...«
»Los!« drängte Dyrenhoff, »schieß endlich los! Ich bin auf alles gefaßt...«
»Zünde dir zuerst deine Zigarre an. Es ist eine lange Geschichte. Und es ist keine heitere Geschichte...«
»Es ist heute schon die sechste Zigarre«, knurrte Dyrenhoff, »und der Arzt hat mir nur fünf täglich verordnet.«
»Gestattet, meinst du...«
»Wo liegt da der Unterschied?« fragte Dyrenhoff und zündete sich endlich die Zigarre an.
Und Werner begann Severins Geschichte zu rekapitulieren. Sie stand so deutlich in seinem Gedächtnis, daß er ganze Sätze wiedergeben konnte, die Severin gebraucht hatte. Er strich sie zusammen, er holte nur die wichtigen Abschnitte heraus, breit wurde er erst, als er auf Severins Schuld oder vielmehr Schuldlosigkeit an jenem tödlichen Unfall auf der Grünwalder Straße zu sprechen kam. Und mit minutiöser Genauigkeit schilderte er den Verlauf des Abends, an dem er das Schuldgeständnis aus Anita Eyssing herausgelockt hatte. Er bemerkte wohl, daß Dyrenhoff sein Tonbandgerät eingeschaltet hatte...
»Was soll das?« fragte er, als er endlich zum Schluß gekommen war.
»Es soll dir die Wiederholung vor dem Kriminalkommissar ersparen. Und es soll Severin zu einem Freispruch verhelfen, wenn sich seine Aussagen mit deinen decken. Nicht zu einem Freispruch aus Mangel an Beweisen, der ihm nicht allzuviel nützen würde, sondern zu einem Freispruch wegen erwiesener Unschuld!«
»Was ist das für ein Unterschied?«
»Ich habe jetzt keine Zeit, dir ein juristisches Kolleg zu halten. Aber eigentlich gehört die Kenntnis dieses Unterschieds zur Allgemeinbildung. In den Schränken findest du eine Menge Literatur darüber. — Jetzt brauche ich von dir nichts mehr als Severins Anschrift. Wo wohnt er?«
»In einem Gasthof >Zum Thurmbräu < in der Nähe des Viktualienmarktes.«
»Ich hoffe, daß er daheim ist. Hast du die Telefonnummer?«
»Keine Ahnung...«
Dyrenhoff schaltete die Sprechanlage zu seinem Sekretariat ein und beauftragte das Mädchen, das sich meldete, nachzusehen, ob Severins Gasthof Telefonanschluß habe und wenn es der Fall wäre, ihn sofort zu verbinden.
»Was willst du von ihm?«
Dyrenhoff war dabei, das kleine Tonbandgerät in seine Aktenmappe zu packen.
»Ich will ihn zur
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