Eine Frau für Caracas
Professor Merten so interessant fand, daß er Werner zu einem Vortrag über die moderne Architektur Südamerikas verpflichtete. Das Thema war reizvoll, denn es bestanden große Gegensätze zwischen den einzelnen Ländern, Venezuela, das sich nordamerikanischen und europäischen Stileinflüssen gegenüber aufgeschlossen zeigte, während man sich in anderen Ländern, Mexiko zum Beispiel, gegen alles Fremde sträubte und besonders in der Architektur einen Anschluß an die alte bodenständige Kultur zu finden versuchte.
Als er um ein Uhr ins Hotel zurückkam, empfing ihn der Portier mit der Nachricht, er möge sofort die Kanzlei von Dr. Dyrenhoff anrufen, der ihn im Verlauf der letzten zwei Stunden mehrfach zu erreichen versucht habe.
Was war da los? Was konnte so wichtig sein, daß Dyrenhoff ihn drei- oder viermal angerufen hatte? Er betrat die Telefonkabine mit einem unguten Gefühl und wählte Dyrenhoffs Nummer.
»Hallo, Lothar, was gibt es?«
»Komm sofort in meine Kanzlei, ich habe mit dir zu reden!«
»Möchtest du mir nicht wenigstens sagen...«
»Nein! Nicht am Telefon! Du bist im Hotel, nicht wahr?«
»Ja...«
»Gut, dann kannst du in fünf Minuten bei mir sein!«
Dyrenhoff hängte ein, und Werner legte den Hörer langsam auf die Gabel. Was verschwieg Dyrenhoff ihm? Was konnte er ihm nicht telefonisch sagen? Ging es um Anita Eyssing...?
Dyrenhoffs Kanzlei befand sich in der Briennerstraße . Es hatte keinen Zweck, für die paar hundert Schritte den Wagen zu benutzen. Ein Taxi hatte gerade einen Hotelgast abgesetzt und war im Begriff abzufahren. Werner sprang hinein. Zwei Minuten später war er vor der Kanzlei, die im ersten Stockwerk eines vornehmen, alten Hauses lag, in dessen Parterreräumen sich ein renommiertes Antiquitätengeschäft befand. Werner hatte keinen Blick für die kostbaren Barockschränke und Gobelins, die sich in den Auslagen befanden, sondern stürzte die Treppe empor.
Ein verstört wirkendes Mädchen, eine von Dyrenhoffs Sekretärinnen, führte ihn durch den Warteraum und das Vorzimmer, in dem ein schwacher Parfümduft ihn an Anita Eyssing erinnerte, in Dyrenhoffs Arbeitsraum. Ein großer brauner Schreibtisch, braune Ledersessel, braune Schränke mit Akten und juristischer Literatur, ein Teppich in gedeckten Farben, und als einziges Bild ein van Gogh, der bekannte Druck »Auf dem Wege zur Arbeit«. Der Maler im blauen Arbeitskittel, das Gesicht von dem breitkrempigen Hut verschattet, der Säulengang der Bäume mit ihren Schatten, das satte Grün der Wiesen und das leuchtende Gelb der Kornfelder...
Dyrenhoff scheuchte das Mädchen mit einer Handbewegung hinaus. Das Zimmer war voller Zigarrenqualm, der sich in grauen Schichten lagerte und zur Seite schwappte, als Werner hindurchging.
»Wann warst du das letztemal mit Frau Eyssing zusammen?«
»Was ist los?« fragte Werner heftig, »du kannst mich nachher verhören!«
»Sie hat sich mit Veronal vergiftet!«
»Tot...?« fragte Werner abgeschnürt.
»Sie liegt im Krankenhaus. Aber die Ärzte geben keine Hoffnung. Sie wurde heute früh eingeliefert. Zu spät.«
»Woher weißt du es?«
»Die Polizei läutete mich an.«
»Wann?«
»Vor zwei Stunden. Vorher hatte ich sie ein paarmal vergeblich anzuläuten versucht. Aber ich konnte ja nicht wissen, was der Grund dafür war, daß sich niemand meldete.«
Er zerdrückte seine Zigarre in einem riesigen Aschenbecher aus Bronze und sah Werner an.
»Ich war mit ihr gestern abend von halb sieben bis etwa acht Uhr zusammen.«
»In ihrer Wohnung?«
»Ja, in ihrer Wohnung. Ich hatte ein paar Kleinigkeiten zum Essen mitgebracht, und ich hatte auch eine Flasche Wein mitgenommen. Aber wir haben nicht gegessen und vom Wein kaum einen Schluck getrunken.«
»Hattest du eine Auseinandersetzung mit ihr?«
»Weshalb fragst du danach?«
»Weil die Polizei sich bei mir erkundigte, ob ich wüßte, mit wem sie verkehrt sei.«
»Und was hast du geantwortet?«
»Ich habe ein paar Namen angegeben. Deinen nicht.«
»Ich werde mich trotzdem bei der Polizei melden.«
Dyrenhoff zog eine neue Zigarre aus der Fünfzigerkiste, biß die Spitze ab und spuckte sie neben sich auf den Teppich.
»Hängt ihr Selbstmordversuch mit der Auseinandersetzung zusammen, die du mit ihr gehabt hast?«
»Ich fürchte, ja...«
Dyrenhoff betrachtete die Zigarre in seiner Hand und war nahe daran, sie im Aschenbecher zu zerstampfen, noch bevor er sie angeraucht hatte.
»Das ist scheußlich...«, sagte er gepreßt .
»Ich
Weitere Kostenlose Bücher