Eine Freundschaft im Winter
werden, Männern, die niemals den Wunsch äußerten, man solle seine Freiheit aufgeben. War es wirklich Freiheit? Einerseits, ja. Wenn sie Lust hatte, irgendwo hinzugehen, dann ging sie dorthin. Wenn sie Lust hatte, zum Abendessen Eis zu essen, dann tat sie das. Und wenn sie Lust hatte, sich neue Skistiefel zu kaufen, dann kaufte sie neue Skistiefel. Sie musste niemanden fragen, niemandem Rechenschaft able gen. Und das gefiel ihr. Aber andererseits fühlte sie sich gar nicht frei.
Sie betrachtete das Gesicht ihrer Großmutter und fragte sich, wie traurig es sie machen würde, zu wissen, dass ihre Enkelin nicht nur unverheiratet war, sondern sich zudem mit Männern traf, die sie nie als ihre Freundin bezeichneten, mit Männern, von denen sie selbst auch keinen als ihren Freund bezeichnen wollte. Vielleicht waren es Freunde mit Zusatzleistungen. Friends with benefits . Doch waren es wirklich Freunde? Eigentlich nicht. Fuck buddies . Sie nickte. So konnte man sie bezeichnen. Sie war frei – im Großen und Ganzen. Aber wurde sie respektiert? Nein, nicht wirklich. Scham ergriff sie, als sie das Porträt ihrer Großeltern betrachtete. Sie wusste, dass sie sich mehr für sie erhofft hatten. Sie hatten sich gewünscht, dass sie geschätzt wurde und dass sie sich selbst so viel wert war, das auch einzufordern.
»Das war der Preis der Freiheit«, flüsterte sie, das Bild in der Hand haltend. »Verurteilt mich nicht«, fügte sie hinzu, obwohl sie wusste, dass es nicht ihre Großeltern waren, die ein Urteil über sie fällten. Der aus den Laken aufsteigende Duft von Cody klammerte sich an sie und verstärkte ihre Scham. Sie schlug die Decke zurück, zog die Bettwäsche ab und holte neue Laken aus dem Kleiderschrank.
2. Kapitel
Schneebericht für den 18. November
Aktuelle Temperatur: –2,2°C, Höchstwert: 1,1 °C um 15 Uhr,
Tiefstwert: – 6,7°C um 4 Uhr.
Heiter. Wind aus Südwest mit 24 km / h.
89 cm am Berg, 130 cm auf dem Gipfel; 0 cm Neuschnee in den letzten 24 Stunden; 3 cm Neuschnee in den letzten 48 Stunden.
J ill fuhr die ganze Nacht hindurch bis in den Morgen hinein. Die weite Prärie machte den Rocky Mountains Platz. Die helle Rinde der größtenteils kahlen Pappeln schien in der niedrig stehenden Novembersonne zu leuchten. Als die Straße sich zwischen zwei hohen Bergen entlangschlängelte, fühlte Jill sich endlich sicher. Es kam ihr vor, als wäre sie vor etwas davongelaufen und hätte sich endlich hinter einer Ecke in Sicherheit gebracht.
Sie fuhr höher und höher, bis sie unterhalb der schneebedeckten Gipfel war und die Abfahrt nach Sparkle vor ihr auftauchte. Ein Berg, den jeder nur Big Daddy nannte, trennte die kleine Stadt von der Hauptverkehrsstraße. Als sie um den Berg herumfuhr, sah sie nahe dem Wasserfall mehrere Skispuren, die eine unglaublich steile und enge Abfahrt hinunterführten. Verrückt, dachte sie.
Stück für Stück erklomm ihr Wagen die gewundene Straße bis hin zu dem Schild, das Besucher und Einwohner in Sparkle willkommen hieß. Höhe 2712 m, Einwohner 1284. Hinter der historischen kleinen Bergbaustadt erhob sich der schneebedeckte Sparkle Mountain. Skipisten zogen sich wie breite Bänder über den mächtigen Berg. Auf den Pisten schossen Menschen, klein wie Punkte, die Hänge hinab.
Obwohl Midland eigentlich ihre Heimatstadt war und Austin der Ort, in dem sie lebte, ertappte sie sich bei dem Gedanken, zu Hause zu sein . Sie atmete tief ein und langsam wieder aus und fuhr weiter ins Zentrum hinein.
Zwei Frauen zu ihrer Linken – die eine im Pelzmantel, die andere in dicken Pelzstiefeln – betraten gerade eine Kunstgalerie. Sicherlich waren sie in dem Nobelhotel am Fuße des Berges untergebracht. Ein Stück weiter ging ein Mann in einer Skihose, die an einigen Stellen notdürftig mit Klebeband ausgebessert war, in eine Drogerie. Ganz offensichtlich kam er von hier. Trotz der Umstände musste sie lächeln. Sie hatte schon ganz vergessen, wie komisch die Gegensätze in Sparkle sein konnten.
Sie fuhr langsam an den drei Blocks historischer Ziegelsteinhäuser vorbei, um zu sehen, was sich verändert hatte und was so geblieben war, wie sie es in Erinnerung hatte. Es gab einige neue Cafés und Bäckereien. Woodalls Eisenwarenladen, Dicks Friseurgeschäft und die Gold Pan Bar waren noch immer da. Es folgten die Main Street hinunter diverse Geschäfte in bunten alten Bergarbeiterhäuschen, im Anschluss daran die Wohnhäuser.
Sie kam zu dem kleinen roten Haus, das Onkel Howard
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