Eine Freundschaft im Winter
hast mit Onkel Howard rumgehangen, stimmt’s?«, sagte Jill.
Lisa lachte auf. »Hey, hör mal! Also, ich muss jetzt der nächs ten Generation von Olympioniken beibringen, auf ihren Skiern nicht hinzufallen. Wir reden später über deine Geschichte, wenn ich von der Arbeit wieder zurück bin. Leg dich hin und ruh dich aus. Du brauchst Schlaf. Und mach dir keine Sorgen. Es wird alles wieder gut.«
Jill folgte Lisa zurück ins Wohnzimmer, wo sie das alte Schlafsofa ausklappte. Lisa holte Bettzeug aus dem Wäscheschrank. Zusammen machten sie das Bett, und Jill kroch gleich unter die Decke. Lisa gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
»Danke«, sagte Jill.
»Alles wird gut«, versicherte Lisa ihr noch einmal.
Als Jill wieder aufwachte, erblickte sie Onkel Howard, der draußen auf der Veranda in einem Schaukelstuhl saß. Sie öffnete die Tür, und er erhob sich. »Ich habe gehört, dass du wieder da bist«, sagte er und sah sie freundlich an.
Jill erkannte den roten Norwegerpulli, den er schon seit zwanzig Jahren besaß, und die uralte Mütze mit dem Puschel obendrauf. Sein Rucksack, den er immer bei sich trug, lag zu seinen Füßen. Abgesehen davon, dass auch an ihm die Jahre nicht spurlos vorübergegangen waren, hatte er sich überhaupt nicht verändert. In seiner Gegenwart hatte sie das Gefühl, in Sicherheit zu sein. Sie brach in Tränen aus.
»Hey, alles wird gut«, sagte er leise und nahm sie in die Arme. »Jetzt bist du ja hier.« Jill setzte zu einer Erklärung an, wollte ihm erzählen, dass sie das Baby verloren und ihr Ehemann sie betrogen hatte, doch sie brachte nur unverständliche Worte heraus.
»Ich weiß«, entgegnete Onkel Howard. »Lisa hat mir alles gesagt. Es tut mir leid.« Er hielt sie so lange, bis ihr Schluchzen leiser wurde. »Lass uns hineingehen. Ich habe etwas dabei, das dir Kraft geben wird.«
Sie setzten sich an den Küchentresen. Onkel Howard machte seinen Rucksack auf und holte ein Päckchen mit geräuchertem Alaska-Wildlachs heraus. »Du musst stark genug sein, jegliche Hindernisse zu überwinden. Und dann wirst du sehen, dass du dein Ziel noch immer vor Augen hast«, sagte er.
Onkel Howard war der Ansicht, dass Menschen sowohl Nährstoffe als auch seelische Energie aus der Nahrung aufnahmen. In den Siebzigerjahren hatte er sich einen Weltklassebergsteiger nennen können. Auf seinen Reisen war er mit vielen verschiedenen Kulturen in Berührung gekommen. Unter schiedliche Glaubensrichtungen hatten sich zu Onkel Howards einzigartigem Werte- und Wahrheitssystem vermischt.
Als Nächstes zog er einen Jarlsberg-Käse hervor. »Aus Norwegen«, sagte er. »Die Norweger sind nicht zu stoppen. Ich ver mute, dass dieser Käse ihr Geheimnis für Gesundheit und langes Leben ist.« Schließlich holte er ein Vollkornbaguette aus seinem Rucksack. »Das hier hat Mari Wallace, eine ganz außerge wöhnliche Yogalehrerin, in Sparkle gebacken. Möge es dich mit ihrem Sinn für Ruhe und Frieden und ihrem munteren Geist erfüllen.« Dann nahm er ein Schneidebrett sowie ein Taschenmesser aus dem Rucksack und fing an, den Käse zu schneiden.
Sie teilten das Brot, nahmen von dem Fisch und legten ihn zusammen mit den Käsescheiben ins Baguette. Während Jill in ihr Sandwich biss und kaute, dachte sie über all die guten Wünsche von Onkel Howard nach. »Danke«, sagte sie schließlich.
»Trinkst du genug Wasser?«, erkundigte er sich.
Jill schüttelte den Kopf.
»Das ist der beste Weg, um die Energie und die Kraft von Sparkle wieder in sich aufzunehmen.« Er stand auf und füllte ihr ein Glas mit Leitungswasser. »Außerdem kann man nicht klar denken, wenn man dehydriert ist.«
Jill lächelte und trank das Wasser. Das schlechte Gewissen ergriff sie. »Es tut mir leid, dass ich dich all die Jahre nicht besucht habe. Es war einfach so schwer, aus dem Alltag auszubrechen … Meine Arbeit, Davids Arbeit, wir haben uns ein Leben in Austin aufgebaut. Da ich Weihnachten nie bei meinen Eltern verbringen wollte, sind wir in den paar Jahren, in denen ich an Weihnachten nicht arbeiten musste, immer Richtung Osten gefahren, um seine Eltern zu besuchen. Es tut mir leid, dass ich mich nicht durchsetzen konnte, obwohl du mir doch so viel bedeutet hast und du der Vater warst, den ich mir gewünscht hätte. Aber irgendwie wollte ich David auch nicht mit hierherbringen. Ist das nicht komisch? Ich wusste, dass er nicht hierhergehört. Es fühlte sich allerdings auch falsch an, ohne ihn nach Sparkle zu kommen. Jetzt weiß
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