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Eine für alle

Eine für alle

Titel: Eine für alle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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Rechten tutete plötzlich ein Kahn. Ich machte einen Satz und stolperte. Ich konnte sehen, dass die Jungs im Ruderhaus lachten und winkten. Falls jemand hinter der Ecke wartete, hoffte ich, er werde meinen, das Signal gelte ihm.
    Mit brennenden Wangen setzte ich meinen verstohlenen Weg den Kanal entlang fort. Als ich zur Lücke zwischen Gammidge und Diamond Head kam, ließ ich mich in ein dichtes Büschel Präriegras fallen, damit ich um die Ecke schauen konnte. Vor drei Ladeluken von Diamond Head standen Lastwagen. Die Motoren liefen, aber die Luken hinter ihnen waren zu. Kein Licht. Ich lag auf dem feuchten Boden und schaute mit zusammengekniffenen Augen durch das Gras. Aus dieser Entfernung und bei schlechtem Licht konnte ich keine Beine oder anderen menschlichen Körperteile ausmachen.
    Ich hatte seit meinem ersten Besuch hier keine Lastwagen mehr gesehen. Weil ich nichts über den Geschäftsgang bei Diamond Head wusste, konnte ich daraus keine sicheren Schlüsse über die Auftragslage ziehen. Es war auch nicht klar, warum die Dieselmotoren liefen - ob als Vorbereitung auf das Beladen morgen früh oder ob die Lastwagen darauf warteten, entladen zu werden.
    Ich war versucht, mich auf die Laderampe zu schwingen, in der Hoffnung, durch die Luken einen Weg hinein zu finden. Der Gedanke an Mrs. Polter machte mich vorsichtig. Es schien ziemlich klar zu sein, dass sie mich für jemanden beobachtete. Falls es Chamfers war, hatte er ihr vielleicht ein eigenes Feuerwehrauto versprochen. Er konnte den Muskelprotz, der mich letzten Freitag gejagt hatte, beauftragt haben, auf einem der Lastwagen zu warten und mich anzuspringen. Andererseits hielt ich den Kerl nicht für so geduldig, dass er endlos auf der Lauer lag. Ich stellte mir einen der Manager vor, wie er neben dem Muskelprotz in dem Lastwagen saß und ihn an der Leine hielt: »Platz, Junge! Platz, hab ich gesagt!« Das Bild brachte mich nicht ganz so laut zum Lachen, wie ich erwartet hatte.
    Meine Knie und Arme wurden nass vom schlammigen Gras. Ich schaute auf den Kanal hinter mir - ich wollte nicht, dass mich jemand so erschreckte, dass ich hineinfiel. Die Betoneinfassung des Kanals hätte das Herausklettern schwierig gemacht. Tief geduckt näherte ich mich von dem Grasbüschel aus der Rückseite von Diamond Head. Niemand schoss auf mich, niemand rief.
    Die Hintertür, die aufgeschoben werden konnte, wenn Kähne anlegten, war mit ziemlich komplizierten Schlössern versperrt. Ich wollte mir nicht die Zeit nehmen, sie zu knacken: Die Stelle war zu exponiert, als dass ich eine Stunde oder länger hier hätte stehen können. Und der Expressway war nicht laut genug, um die Einbruchsgeräusche für jemanden, der innen wartete, zu übertönen.
    Ich stapfte schnell den Laufsteg an der Seite des Gebäudes entlang und schaute um die Ecke. Die Fenster des Montageraums standen noch offen, mit in der Dunkelheit schwarz schimmernden Scheiben. Die Fenstersimse waren etwa anderthalb Meter über meinem Kopf.
    Mit der Stableuchte überprüfte ich das Terrain darunter. Diese Seite der Fabrik ging nach Westen, nicht zum Kanal hinaus, und die Sonne konnte den Boden dort zu festerem Lehm härten. Die hohen Gräser, die überall wuchsen, waren hier dünner und brauner. Ich säuberte sorgfältig einen etwa einen Meter breiten Zugang unter dem nächsten Fenster, hob leere Büchsen und Flaschen auf und stapelte sie an der Ecke des Gebäudes.
    Als ich meinte, eine hindernisfreie Bahn geschaffen zu haben, hängte ich die Taschenlampe wieder an den Gürtel. Ich musterte das Fenster, versuchte meinen Muskeln die Höhe zu vermitteln, die ich bewältigen musste. Es war etwa die Distanz eines Sprungwurfs, und ich hatte erst letzte Woche bewiesen, dass ich noch Basketball spielen konnte. Meine Finger prickelten, meine Handflächen waren feucht. Ich wischte sie an den Jeans ab. »Okay«, flüsterte ich mir zu. »Das ist deine Anlaufbahn, Vic. Bei drei geht's los.« Ich zählte leise bis drei und rannte die Bahn entlang, die ich geräumt hatte. Etwa anderthalb Meter vor dem Fenster setzte ich zum Sprung an, mit ausgestreckten Armen schnellte ich durch die Luft. Meine Finger packten den Sims. Scharfe Metallleisten schnitten sich in meine Handflächen. Ich ächzte vor Schmerz, kämpfte um Halt und zog mich hoch. Mach Platz, Michael Jordan. Hier kommt die fliegende Warshawski.

32
    Auf der Schaukel
    Ich hockte auf dem Metallsims des Fensters und vergewisserte mich mit Hilfe der Taschenlampe kurz, dass ich

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