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Eine Handvoll Dunkelheit

Eine Handvoll Dunkelheit

Titel: Eine Handvoll Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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wandelte?“
    „Natürlich. Aber …“
    „Sind dann nicht sogar diese Männer unsere Brüder?“
    „Natürlich“, stimmte Sung-wu reserviert zu, „aber sie müssen ihre Stellung in der Gesellschaft kennen; sie gehören einer unbedeutenden Klasse an. In den seltenen Momenten, wenn etwas repariert werden muß, ruft man nach ihnen; aber im letzten Jahr habe ich nicht ein einziges Mal nach ihnen verlangen müssen. Von Jahr zu Jahr verringert sich der Nutzen dieser Klasse; vielleicht sollte man diese Klasse und die Elemente, die sie bilden …“
    „Treten Sie vielleicht für die Sterilisierung ein?“ wollte der Inder wissen, und seine Augen waren halb von den Lidern verborgen und sahen Sung-wu verschmitzt an.
    „Es muß irgendeine Lösung gefunden werden. Die unteren Klassen vermehren sich wie die Kaninchen, werfen die ganze Zeit hindurch – wir Barden hingegen nehmen nicht so schnell zu. Dauernd sieht man irgendwelche dickbäuchigen Kaukweiber, aber nur selten wird in diesen Tagen ein Barde geboren.“
    „Das ist alles, was ihnen übriggeblieben ist“, murmelte der Inder milde. Er nippte an seinem Zitronensaft. „Sie sollten versuchen, toleranter zu sein.“
    „Toleranter? Ich habe nichts gegen sie, solange sie …“
    „Man sagt“, unterbrach der Inder ruhig, „daß Elron Hu selbst ein Kauk gewesen sein soll.“
    Sung-wu verzog indigniert das Gesicht und wollte zu einer Erwiderung ansetzen, doch die gereizte Antwort erstarb auf seinen Lippen; etwas näherte sich ihnen über die Lehmstraße.
    „Was ist das?“ fragte Sung-wu. Aufgeregt sprang er auf und lief zur Brüstung.
    Eine langsame Prozession näherte sich mit gewichtigen Schritten. Wie auf ein Signal hin strömten Männer und Frauen aus ihren windschiefen Hütten, säumten erregt die Straße und schauten zu. Sung-wu war wie gelähmt beim Anblick der Prozession; ihm schwindelte. Mit jeder Sekunde wuchs die Zahl der Männer und Frauen; es mußten Hunderte sein. Sie bildeten eine undurchdringliche, murmelnde Menge, dicht an dicht stehend, hin und her schwankend, mit glänzenden Gesichtern. Ein hysterisches Stöhnen ging von ihnen aus, wie ein heftiger Wind, der durch das Laub eines Baumes fuhr. Sie waren ein einziges Kollektiv, ein gewaltiger, primitiver Organismus, der von der eintreffenden Prozession in Ekstase und Verzückung versetzt wurde.
    Die Marschierenden trugen fremdartige Gewänder: weiße Hemden, deren Ärmel hochgekrempelt waren, dunkelgraue Hosen von einem unbeschreiblich altertümlichen Zuschnitt und schwarze Schuhe. Alle waren völlig gleich gekleidet. Sie bildeten eine beeindruckende Doppellinie weißer Hemden, grauer Hosen, und sie marschierten ernst und feierlich, die Gesichter geradeaus gewandt, die Nasenflügel gebläht, die Zähne zusammengebissen. Fanatismus wurde von ihnen ausgestrahlt, und ihre Gesichter trugen einen derart ruchlosen Ausdruck, daß Sung-wu schreckerfüllt zurückwich. Näher und näher kamen sie heran, Gestalten wie aus hartem Stein gehauen, mit altmodischen weißen Hemden und grauen Hosen, ein furchtbringendes Bild aus der Vergangenheit. Ihre Absätze trommelten rauh und dumpf auf den Boden, daß der Klang ihrer Schritte von den schiefen Hütten zurückgeworfen wurde. Die Hunde fuhren auf; die Kinder begannen zu schluchzen. Gackernd flohen die Hühner.
    „Elron!“ schrie Sung-wu. „Was geht hier vor?“
    Die Marschierenden führten seltsame Symbole mit sich, rituelle Bildnisse, deren esoterische Bedeutung Sung-wu fremd blieb. Röhren und Pfähle und glitzerndes Gewebe, das an Metall erinnerte. Metall! Aber es war nicht rostig; es leuchtete und glänzte. Er war wie betäubt; es sah … neu aus.
    Die Prozession glitt unter ihnen vorbei. Den Marschierenden folgte ein großer rumpelnder Karren, auf dem offenbar ein Fruchtbarkeitssymbol angebracht war; eine Spirale, die so hoch war wie ein Baum. Sie ragte aus einem quadratischen Würfel aus glitzerndem Stahl; während der Karren weiterrollte, hob und senkte sich die Spirale.
    Nach dem Karren folgten weitere Marschierende, ebenfalls mit grimmigen Gesichtern, glasigen Augen, gebückt unter ihrer Last aus Röhren und Pfählen und funkelnden Gerätschaften. Sie wanderten vorbei, und dann wimmelte es auf der Straße von hin und her eilenden Menschentrauben, von ehrfurchtsvollen Männern und Frauen, die wie verzückt der Prozession folgten. Und dann kamen die Kinder und die kläffenden Hunde.
    Der letzte Marschierende trug eine lange Stange, an der eine flatternde

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