Eine Hexe in Nevermore
Bedingungen einverstanden. Ich danke dir, Gray.«
Er nickte kurz, dann ließ er ihre Hand los und stand auf. »Ich werde mit Ember und Sheriff Mooreland wegen der nötigen Vorbereitungen sprechen.«
»Wann?«
»Jetzt.« Gray sah sie ein wenig belustigt an. »Sie sind unten und reparieren die Hintertür. Mooreland wusste nicht mehr, dass unter der Fußmatte ein Hausschlüssel liegt. Also hat er die Tür aufgebrochen.«
»Wie lange haben wir eigentlich geträumt?« Sie betrachtete die winzigen Blümchen auf der Bettdecke.
»Drei Tage. Lucinda?«
Ihre Blicke trafen sich. Gray deutete auf das Zimmer und runzelte die Stirn. »Ich weiß, es ist nicht gerade eine romantische Zeremonie, wenn die Braut krank im Bett liegt, aber …«
»Für mein Eheversprechen werde ich aufstehen«, sagte sie mit fester Überzeugung. »Ich brauche nur ein wenig Ruhe. Und diese Suppe, die du mir angekündigt hast.«
»Taylor kann die Zeremonie jederzeit durchführen.«
Lucinda verstand. Gray wollte eine pragmatische, gesetzliche Eheschließung. Natürlich ging es ihm nicht um eine große Feier – das würde ihn wohl auch zu sehr an die Hochzeit mit ihrer Schwester erinnern. Damals war es eine Liebeshochzeit gewesen, zumindest für ihn. Ein schönes Kleid und Blumenschmuck waren nicht nötig, denn ihre Ehe diente einzig und allein einem praktischen Zweck. Gray war ihr Beschützer. Und im Gegenzug für sein Engagement versprach sie ihm ihre Loyalität und das bisschen Zauberkraft, das ihr noch blieb.
Es war gut, so ganz ohne Schnörkel. Die Wahrheit, so schrecklich sie auch sein mochte, war immer besser als eine hübsch verpackte Lüge.
»Wo sind meine Kleider?«
»Im Bad. Ich stecke sie in die Waschmaschine.«
»Nein.«
Prüfend musterte er Lucinda, und sie biss die Zähne zusammen. Eben noch hatte sie beschlossen, dass die Wahrheit besser war als Lügen – und jetzt wollte sie ihm nicht verraten, was sie bewegte. Bernard wollte sie aus mehreren Gründen wiederhaben, vor allem, weil er etwas brauchte, das sie gestohlen hatte. Und dann war da auch noch Marcys Geheimnis.
Sie wollte Gray so gerne vertrauen. Aber was, wenn sie es ihm sagte … und er dann keine Heirat mehr wollte? Was, wenn er feststellte, dass sie den ganzen Ärger nicht wert war?
Dann ist er nicht der Mann, für den ich ihn halte.
Gray starrte sie immer noch an und wartete auf eine Erklärung. Er schien ihre Gewissenskonflikte zu spüren und ließ ihr Zeit. Vertrauen beruhte auf Gegenseitigkeit. Sie musste damit aufhören, ihm zu misstrauen.
Sie würde den ersten Schritt machen.
»Marcy hat mich gebeten, etwas für sie aufzubewahren. Ich sollte es nehmen und Nevermore verlassen.«
»Was nehmen?«
»Es ist in meiner Hosentasche. Ein kleiner roter Beutel. Ich weiß nicht, was darin ist.«
Prüfend musterte Gray ihr Gesicht. »Du hattest erst nicht vor, es mir zu sagen.«
»Deshalb musste sie sterben, Gray. Sie gab es mir, damit ich darauf aufpasse. Und jetzt vertraue ich es dir an. Um ihretwillen.« Alles andere blieb ungesagt. Aber er wusste, was sie sagen wollte: Lass uns bitte nicht hängen.
»Ich kümmere mich darum.« Er zögerte, dann kam er noch mal zurück zu ihrem Bett und küsste sie sanft auf den Mund. »Und ich kümmere mich auch um dich.«
Das war fast besser als ein Eheversprechen.
Fast.
7. KAPITEL
Gray saß mit Ember und Taylor am Küchentisch und mampfte Embers Chocolate-Chip-Plätzchen. Er hatte den beiden gerade von Lucindas misslicher Lage erzählt und von der Lösung, auf die sie sich gemeinsam geeinigt hatten: die Ehe.
»Bist du eigentlich von allen guten Geistern verlassen?« Taylor starrte ihn fassungslos an. »Du willst schon wieder eine Rackmore-Hexe heiraten? Und nicht irgendeine, sondern ausgerechnet die Schwester deiner Exfrau? Eine, die von einem Raben verflucht wurde?«
»Wenn du es so sagst«, Gray nickte, »ja.« Das alles klang wirklich mehr als verrückt. Es war verrückt. Doch es war die einzige Chance für Lucinda, denn andernfalls würde Bernard Franco sie irgendwann finden und umbringen.
Oder sie noch mehr quälen.
Gray dachte an all die kleinen Narben, die ihre blasse Haut bedeckten. Am liebsten würde er dieses Schwein Stück für Stück auseinandernehmen. Dieser widerliche Mistkerl. Ganz sicher hatte Franco ihr diese Wunden zugefügt, sich an ihrem Blut und ihrem Schmerz ergötzt, ihr Leiden genossen. Warum um alles in der Welt hatte sie sich das gefallen lassen?
»Ember, ich gebe es ja nicht gerne zu,
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