Neun Tage Koenigin
Eins
Die Uhr auf dem Kaminsims war von exquisiter Qualität, auch wenn die Zeiger auf zwanzig nach zwei stehen geblieben waren. Soweit ich erkennen konnte, war sie aus einem einzigen Stück Holz geschnitzt, und die schimmernde Patina vermittelte einen warmen Eindruck. In die Wirbel der Holzmaserung waren Rosenknospen eingeritzt, die die Uhr an beiden Seiten wie zwei Brautsträuße säumten. An der Oberseite war der Korpus abgerundet und glatt wie der verhangene Kopf einer Madonna. Als ich mit der Hand über die glatt polierte Oberfläche fuhr, fühlte es sich an, als berührte ich warmes Wasser.
Der Legende nach hatte die Uhr ursprünglich der jungen Frau eines Arztes aus Southampton gehört und war im Jahr 1912 genau in dem Augenblick stehen geblieben, als die Titanic gesunken und die Besitzerin der Uhr dadurch zur Witwe geworden war. Der einzige Trost der trauernden Frau war die Tatsache gewesen, dass ihre Uhr das furchtbare Schicksal ihres Mannes scheinbar vorausgeahnt hatte und ihr Begleiter war in dem Schmerz, der sie geradezu lähmte. Die Frau hatte nie wieder geheiratet und auch die Uhr nie reparieren lassen.
Ich hatte das Stück unbesehen für den Antiquitätenladen meiner Großtante gekauft, genau wie viele andere Stücke zuvor, die jetzt in den Schauvitrinen standen. In den anderthalb Jahren, die ich jetzt schon für das Warenangebot in dem Antiquitätenladen verantwortlich war, hatte ich die besten Stücke von irgendwelchen Haushaltsauflösungen und Ramschverkäufen alter Anwesen bekommen, auf die meine englische Auflösung eines Anwesens in Felixstowe aufgetrieben, und der Auktionator, so erzählte sie mir später, sei völlig unberührt gewesen von der traurigen Geschichte des schönen Stückes. Emma berichtete, der Mann hätte die Geschichte über die Herkunft der Uhr von einem Zettel abgelesen, und zwar in einem Tonfall, als würde er die Gebrauchsanweisung einer Waschmaschine vortragen.
Meine Mutter sah mir dabei zu, wie ich die Uhr jetzt auf den schwarz lackierten Sims über dem Marmorkamin stellte. Sie hielt eine Bleikristallvase mit Seidennarzissen in der Hand.
„Eigentlich müsste die Uhr ticken“, schmollte sie. „Die Leute werden sich fragen, warum sie nicht tickt.“ Sie stellte die Vase auf dem Kaminboden ab und trat dann zurück, wobei ihre Absätze ein klackerndes Geräusch auf dem Parkettboden machten. „Wenn sie ginge, hättest du sie wahrscheinlich schon längst verkauft. Hat Wilson sie sich schon angesehen? Du hast mir doch erzählt, er könne alles reparieren.“
Ich wischte ein Staubkorn vom Ziffernblatt der Uhr. Nein, ich hatte den Ur-Mitarbeiter des Ladens und inoffiziellen Universalmechaniker nicht gebeten, sie zu reparieren. „Es wäre aber nicht mehr dieselbe Uhr, wenn sie funktionieren würde“, wandte ich daher ein.
„Es wäre eine Uhr, die das tun würde, wozu sie da ist“, entgegnete meine Mutter energisch, beugte sich vor und zupfte eine der Narzissenblüten zurecht.
„Es ist aber nicht irgendeine Uhr, Mutter“, hielt ich ihr entgegen und trat jetzt ebenfalls einen Schritt zurück.
Meine Mutter verschränkte die Arme über ihrem teuren Hosenanzug. Hellblau war er, die Farbe von Babydecken und Rotkehlcheneiern. Es war ihre Farbe, ihr Markenzeichen.
„Hör mal, die Sache mit der ,Titanic‘ und der jungen Witwe – das mag ja alles stimmen, Jane, aber du hast dafür nicht den geringsten Beweis. Nie und nimmer wirst du die Uhr aufgrund dieser Geschichte verkaufen.“
Bei dem Gedanken, mich von der Uhr trennen zu müssen, stieg Traurigkeit in mir auf. So etwas kommt vor, wenn man im Verkauf arbeitet. Manchmal fällt es einem schwer, sich von dem zu trennen, was man erworben hat, um es wieder zu verkaufen.
„Ich überlege, ob ich sie nicht vielleicht selbst behalten sollte.“
„Aber wenn du dich nicht von den Waren trennen kannst, verdienst du nichts.“ Das flüsterte meine Mutter zwar nur ganz leise vor sich hin, aber ich hatte es trotzdem gehört. Das war ihre Art, mir mitzuteilen, was sie von meiner Arbeit im Laden ihrer Tante hielt – den sie geerbt hatte, als ihre Großtante Thea gestorben war –, ohne den Eindruck zu erwecken, dass sie sich einmischte.
Meine Mutter glaubt, dass sie sich große Mühe gibt, sich nicht einzumischen, und dass es ihr auch gelingt. Aber das ist auch eines ihrer Talente: sich einzumischen und zu glauben, sie täte es nicht. Meine jüngere Schwester Leslie treibt sie dadurch geradezu in den Wahnsinn.
„Möchtest du,
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