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Eine Idee des Doctor Ox

Eine Idee des Doctor Ox

Titel: Eine Idee des Doctor Ox Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: ekz.bibliotheksservice GmbH
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Rufen nahm an Heftigkeit zu. Lotchè, die zuerst ihre Kaltblütigkeit
     wieder gewann, faßte sich ein Herz und fragte:
    »Wer ist da?
    – Ich bin's! ich! ich!
    – Wer ist ich?
    – Commissar Passauf!«
    Commissar Passauf! über dessen Amt seit vollen zehn Jahren die Frage schwebte, ob es eingehen solle. Was in aller Welt mußte
     passirt sein? Hatten die Burgunder Quiquendone überfallen, wie schon einmal im vierzehnten Jahrhundert? Nur ein Ereigniß von
     dieser Tragweite konnte den Commissar Passauf, der für gewöhnlich Herrn van Tricasse an Ruhe und Phlegma nichts nachgab, bis
     zu diesem Grade erschüttern.
    Auf ein Zeichen des Bürgermeisters – der würdige Mann hätte in diesem Augenblick kein Wort über seine Lippen bringen können
     – wurde der Riegel zurückgeschoben, die Thüre öffnete sich, und wie ein wilder Orkan fegte Commissar Passauf in das Vorzimmer.
    »Was giebt's, Herr Commissar? fragte Lotchè, ein braves Mädchen, das auch in den schwierigsten Zeitläuften den Kopf oben behielt.
    – Was es giebt? rief Passauf, und seine Augen drückten eine wirkliche, wahrhaftige Aufregung aus, nun, ich komme soeben vom
     Doctor Ox, der heute Gesellschaft hatte, und dort ...
    – Und dort? inquirirte der Rath.
    – Dort bin ich Zeuge eines Wortstreits gewesen, eines Wortstreits, der ... Herr Bürgermeister, man hat von Politik gesprochen!
    – Von Politik! wiederholte entsetzt der Bürgermeister, und die Haare seiner Perrücke sträubten sich empor.
    – Von Politik! bestätigte Passauf; seit vielleicht hundert Jahren ist das in Quiquendone nicht vorgekommen!Die Discussion ist schärfer und schärfer geworden, und zuletzt sind der Advocat André Schut und Doctor Dominique Custos so
     heftig an einander gerathen, daß ein Duell wohl unvermeidlich sein wird.
    – Ein Duell! rief der Rath; ein Duell in Quiquendone! Beleuchten Sie die Sache näher, was für Reden haben Advocat Schut und
     Doctor Custos gegen einander geführt?
    – Ich will es wörtlich wiederholen: »Herr Advocat, sagte der Arzt, Sie gehen, wie mir scheint, etwas zu weit und denken nicht
     genug daran, Ihre Worte abzuwägen!«
    Der Bürgermeister van Tricasse faltete entsetzt die Hände; der Rath war erblaßt und hatte vor Schreck seine Laterne fallen
     lassen. Der Commissar schüttelte das Haupt. Eine so offenbar herausfordernde Redensart zwischen zwei Notabeln des Landes!
    »Ich habe es lange gewußt, sagte der Bürgermeister in gedämpftem Tone, dieser Arzt ist ein gefährlicher Mensch, ein ganz entschiedener
     Hitzkopf. Treten Sie näher, meine Herren!«
    Und Rath Niklausse, der Commissar und Herr van Tricasse begaben sich in den Saal zurück.

Viertes Capitel,
in dem sich Doctor Ox als Physiolog ersten Ranges und als kühner Experimentator erweist.
    Wer war der Doctor Ox, diese Persönlichkeit, die unter so sonderbarem Namen schon mehrmals in unserer Erzählung erwähnt wurde?
    Jedenfalls ein Original; zugleich aber ein genialer Gelehrter, ein Physiolog, dessen Arbeiten in der ganzen Gelehrtenwelt
     Europas hoch angesehen waren; der glückliche Nebenbuhler eines Davy, Dalton, Bostock, Menzies, Godwin, Vierordt und all der
     geistvollen Männer, welche die Physiologie in der neuern Zeit zu einer Wissenschaft ersten Ranges erhoben hatten.
    Doctor Ox war von mittlerer Größe, mittlerer Stärke, im Alter von ... aber nein, wir können seine Jahre ebenso wenig wie seine
     Nationalität genau bestimmen. Auch thut das nichts zur Sache; es ist genug, wenn wir wissen, daß Doctor Ox ein eigenthümlich
     heißblütiger, excentrischer Mensch war, den man in Verdacht haben konnte, daß er einem Bande Hoffmann's entsprungen sei. Daß
     dieser Mann mit den Bewohnern von Quiquendone einen eigenthümlichen Contrast bildete, bedarf nach dieser Beschreibung keines
     besonderen Wortes.
    Auf sich und seine Lehren setzte Doctor Ox ein unerschütterliches Vertrauen, und wenn er mit erhobenem Haupt und lächelndem
     Blick, den hübschen, schlanken Schultern und weitgeöffneten Nüstern einherging und in mächtigen Zügen mit seinem großenMunde die Luft einsog, machte er einen gefälligen Eindruck. Er war lebhaft, sehr lebhaft sogar, durchaus proportionirt, munter
     und hatte Quecksilber in den Adern und hundert Nadeln in den Füßen. Es war ihm unmöglich, längere Zeit ruhig an einer Stelle
     zu bleiben, und leidenschaftliche Geberden wie übereilte Worte entfuhren ihm in Menge.
    War dieser Doctor Ox denn reich, daß er auf eigene Kosten die Beleuchtung

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