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Eine Insel

Eine Insel

Titel: Eine Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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herrschten Blitz und Donner. Hagel prasselte auf seinen Hut. Elmsfeuer glühte an den Spitzen der Masten und knisterte im Bart des Captains, als er mit kräftigem Bariton ein Lied anstimmte. Jeder Seemann kannte den Text: »
Ewiger Vater, mein Unterpfand, dessen Arm die rastlosen Wellen band
«, brüllte er in den Sturm, und die Judy balancierte wie eine Ballerina auf der rastlosen Welle. »
Der dem mächtigen Meer gebot, auf dass ende Leid und Tod.
«
    Wie schnell mochte das Schiff wohl sein, fragte er sich, als die Segel rissen und davonflatterten. Die Welle war kirchturmhoch, aber sie raste schneller als der Wind! Darunter sah er kleine Inseln, die verschwanden, sobald die Welle über sie hinwegrauschte. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, die Lobpreisung des Herrn zu unterbrechen!
    »
Erhör des Seemanns Notgebet, wenn er in Stürmen zu dir fleht
«, beendete er das Lied und starrte geradeaus.
    Direkt vor ihm kam etwas Riesiges und Dunkles unaufhaltsam näher. Ein Ausweichmanöver war nicht mehr möglich. Dazu war das Etwas zu groß, und das Ruder hätte ihm ohnehin nicht gehorcht. Dass er es immer noch umklammerte, war ein Ausdruck seiner Hoffnung, dass Gott ihn nicht im Stich lassen würde, solange er seinem Schöpfer nur zeigte, dass er fest an Ihn glaubte. Er drehte das Ruder herum, während er die nächste Strophe anstimmte. Ein Blitz erhellte einen Weg durch die rastlose Welle, und dort, im Licht des brennenden Himmels, sah er eine Lücke, ein Tal oder eine Schlucht in der Felswand – wie die wundersame Teilung des Roten Meeres, dachte Captain Roberts, allerdings andersherum.
    Der nächste Blitz offenbarte ihm, dass die Felsschlucht bewaldet war. Doch die Welle würde in Höhe der Baumwipfel darüber hinwegströmen. Dadurch müsste ihre Kraft gebrochen werden. Vielleicht wurden sie doch noch gerettet, obwohl sie bereits in den Abgrund der Hölle blickten. Dann ging es los…
    Und so kam es, dass der Schoner
Sweet Judy
durch einen Regenwald segelte, was Captain Roberts zu ungeahnter Kreativität inspirierte und ihn eine neue Strophe dichten ließ, die unerklärlicherweise in der Originalhymne fehlte. »
Macht’st die Berge aus der Erde Haut, hast die Säulen des Himmels erbaut.
« Er war sich nicht ganz sicher, ob »macht’st« eine gute Wahl gewesen war, aber im Moment fiel ihm nichts Besseres ein. »
Eb’nen und Wälder erschuf deine Hand…
« Äste brachen laut wie Pistolenschüsse unter dem Kiel, und dicke Lianen wickelten sich um die Reste der Masten.
    »
… machtest zum Garten das weite Land.
« Blätter und Früchte regneten auf das Deck, und eine heftige Erschütterung bedeutete, dass ein Baum den Rumpf aufgerissen und das Schiff um den Ballast erleichtert hatte. »
Wir bitten dich, dass an den Küsten…
« Captain Roberts packte das nutzlos gewordene Ruder fester und lachte in die brüllende Finsternis. »
… die Stürme nicht uns’re Schiffe verwüsten.
«
    Plötzlich schossen drei gigantische Baumriesen auf ihn zu, deren Stelzwurzeln jahrhundertelang den Zyklonen standgehalten hatten. Captain Roberts’ letzter Gedanke war: Vielleicht wäre Schufst die Berge aus der Erde Haut in Anbetracht der Umstände eine bessere Wahl gew…
    Captain Roberts kam in den Himmel, womit er nicht unbedingt gerechnet hatte, und als das zurückfließende Wasser das Wrack der
Sweet Judy
behutsam auf dem Waldboden absetzte, war an Bord nur noch eine einzige Seele am Leben. Oder vielleicht auch zwei, sofern man ein Herz für Papageien hatte.
    Am Tag, als die Welt endete, befand sich Mau auf dem Heimweg. Er hatte eine Strecke von über zwanzig Meilen zurückzulegen. Aber er kannte den Weg sehr gut. Wer den Weg nicht kannte, war kein Mann. Und er war ein Mann… zumindest fast. Immerhin hatte er einen Monat auf der Insel der Jungen gelebt, oder nicht? Allein dort zu überleben, machte einen zum Mann!
    Überleben… und auch wieder heimkehren.
    Niemand erzählte jemals etwas über die Jungeninsel.
    Nichts Brauchbares jedenfalls. Man schnappte hin und wie der ein paar Kleinigkeiten auf, aber eine Sache lernte man sehr schnell: Bei der Jungeninsel ging es hauptsächlich darum, wieder von dort wegzukommen. Dort ließ man seine Jungenseele zurück und erhielt eine Männerseele, wenn man es schaffte, zur Nation zurückzukehren.
    Und man musste zurückkehren, weil sonst etwas Schreckliches geschah: Wem es innerhalb von dreißig Tagen nicht gelang, wurde eingefangen, und dann konnte man nie mehr zum Mann werden,

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