Eine Katze kommt selten allein
Schrankdach huschte. Und zack – schon hockte Pancho im Spülbecken, das Maul im Reis vergraben.
Ich machte mich daran, das kleine gegrillte Hähnchen auszupacken, das ich zum Abendessen gekauft hatte. Um sechs Uhr erwartete ich Carla Fried. Ein schöneres Weihnachtsgeschenk als Carlas Besuch hätte ich gar nicht bekommen können. Sie war eine alte, liebe Freundin, die ich seit Jahren nicht gesehen hatte. Auf dem College waren wir in einem Zimmer untergebracht gewesen. Wir hatten gemeinsam Schauspiel studiert. Dann waren wir nach New York gezogen und hatten bis zu meiner Heirat zusammengewohnt; nach meiner Scheidung dann noch einmal, allerdings nur für kurze Zeit.
Ich freute mich riesig auf Carlas Besuch; ich konnte es gar nicht abwarten, mit ihr über das Theater zu reden. Wie sehr hatte ich mich nach Gesprächen über Schauspielerei gesehnt, seit ich einsamer und einsamer geworden war! Warum ich einsam war? Na ja, ich hatte den Ruf, ›schwierig‹ und ›schrullig‹ und ein ›bißchen verrückt‹ zu sein.
Der Grund dafür war die schlichte Tatsache, daß mich das herkömmliche amerikanische Theaterleben nicht mehr interessierte. Ich sehnte mich nach etwas Neuem; irgend etwas im Grenzbereich. Ich war auf der Suche nach einem Avantgarde-Theater, das noch gar nicht existierte – und weil das so war, hatten sich viele alte Freunde von mir entfremdet. Meine Leidenschaft für das Außergewöhnliche hatte dazu geführt, daß ich bei einer Reihe eigenwilliger Inszenierungen exzentrischer Theaterregisseure kurze Gastspiele gab. Ein Gutes hatte die Sache allerdings: Da Akademiker sich stets durch die Avantgarde angezogen fühlen, bekam ich hin und wieder die Gelegenheit, als Dozentin an theaterwissenschaftlichen Fakultäten zu lehren.
Ob es an meiner Vorliebe für die Avantgarde gelegen hatte, daß mir als Schauspielerin der Durchbruch versagt geblieben war? Wer weiß. Mein Exgatte pflegte zu sagen, daß ich den Sprung nach oben sowieso nie geschafft hätte, da ich auf ›seltsame Weise zu schön‹ sei; die Verkörperung der sexuellen Phantasien eines jeden Mannes, eine Figur von Virginia Woolf, die sich in einem durchsichtigen Laura-Ashley-Kleid durch eine düstere, wilde Moorlandschaft bewegt. Ich war hochgewachsen, mit goldblondem Haar, bemitleidenswert dünn und stets verfügbar: zur einen Hälfte Vamp, zur anderen Hälfte Kindfrau. Jedenfalls hatte mein Exmann sich so ausgedrückt.
Ich legte das gegrillte Hähnchen auf einen Pappteller und hüllte es in Zellophanpapier ein. Anschließend machte ich Tomatensalat mit Zwiebeln und deckte den Tisch.
Dann wurde es Zeit, meine Siebensachen zu packen.
Die Katzen und ich fuhren morgen früh nach Old Brookville, Long Island. Dort sollte ich, wie jedes Jahr, drei Tage als Catsitter arbeiten. Mit anderen Worten: die Katzen von Harry und Jo Starobin füttern, auf sie aufpassen und so weiter und so fort.
Nun gibt es solche und solche Catsitter-Jobs. Die meisten beschränken sich auf tägliche kurze Besuche bei Katzen, die in Wohnungen leben, deren Besitzer auf Geschäftsreise oder in Urlaub sind. Ich hole die Post aus dem Briefkasten. Ich mache die Tür auf. Ich füttere die Katze. Ich gebe den Blumen Wasser. Ich rede mit der Katze. Und dann gehe ich wieder.
Mein alljährlicher Catsitter-Job bei den Starobins war etwas ganz anderes. Auf Harrys alter Farm schlief ich mit meinen eigenen Katzen in einem kleinen Cottage, brachte allerdings die meiste Zeit damit zu, die acht Himalayan-Katzen der Starobins zu versorgen, die im Haupthaus der Farm lebten. Jahr für Jahr verbrachten die Starobins das Weihnachtsfest in Virginia; sobald ich bei ihnen war, fuhren sie los. Es war ein lukrativer Job; er machte Spaß und verschaffte mir die Gelegenheit, mal aus Manhattan rauszukommen. Außerdem mochte ich die Starobins. Als ich sie kennengelernt hatte, waren sie mir auf Anhieb sympathisch gewesen – ich hatte sie unter sehr schmerzlichen Umständen kennengelernt.
Einer meiner Freunde – er lehrte als Dramatiker an der New Yorker Uni – hatte Selbstmord begangen. Jedenfalls behauptete das die Polizei. Ich glaubte nicht daran, denn ich hatte ungefähr zehn Tage vor seinem Tod mit ihm gesprochen, und er hatte überhaupt keinen deprimierten Eindruck auf mich gemacht. Jedenfalls fuhr ich sofort nach Stony Brook und erbot mich, das Büro und die Wohnung meines verstorbenen Freundes sauberzumachen, da er keine lebenden Verwandten hatte. Und dabei entdeckte ich, daß es kein
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