Eine Krone für Alexander (German Edition)
Gefahr für
dieses Athen seid. Wenn ihr gewinnt, werden von unserer Stadt nur noch Ruinen
bleiben, und die Welt wird in Finsternis versinken. Deshalb werden wir euch
bekämpfen bis zum letzten Blutstropfen.“
Hypereides hatte sich in Fahrt geredet. Seine Augen warfen
Blitze, die Hände mit den vielen Ringen ballten sich zu Fäusten, die sorgfältig
arrangierten Bahnen seines Himations waren ihm von der Schulter gerutscht.
Äußerlich erschien er in diesem Augenblick tatsächlich als der Fanatiker, für
den Alexander ihn und seine Gesinnungsgenossen stets gehalten hatte, doch er
verstand sie nun besser. Im Grunde ging Isokrates von ganz ähnlichen Prämissen
aus wie sie, nur dass er völlig andere Schlüsse zog. Alexander ließ Hypereides
Zeit, sich wieder zu beruhigen, ehe er antwortete.
„Ihr irrt euch. Der Sieg meines Vaters bedeutet keineswegs
den Untergang der Zivilisation. Alles, was er will, ist, dass die Griechen in
Frieden und Freiheit leben und die von dir gepriesenen Segnungen der
Zivilisation genießen können.“
„Unter makedonischer Herrschaft!“
„Unter unserer Führung.“
„Nicht unter der Athens?“
„Nein“, sagte Alexander ohne Beschönigung. „Und das ist auch
der wahre Grund für euren Hass auf uns: weil wir das verwirklichen werden, was
euch nicht gelungen ist. Ihr denkt, wir maßen uns eine Rolle an, von der ihr glaubt,
dass sie euch vorbehalten sein sollte. Aber ihr habt versagt. Athens große Zeit
ist vorbei, und seien wir doch einmal ehrlich: Euer Führungsanspruch war für
Griechenland durchaus nicht immer ein Segen. Ihr habt die Mitglieder eures
Seebundes unterdrückt und dadurch Griechenland in einen fast dreißig Jahre
dauernden Krieg gestürzt.“
„Wir mögen Fehler gemacht haben“, gab Hypereides zu, „aber
trotzdem war Athen immer ein Hort der Freiheit. Hast du nicht auf dem
Marktplatz die Statuen von Harmodios und Aristogeiton gesehen?“
„Der Tyrannenmörder? Ja, aber es sind nicht die Originale.
Die hat Xerxes mit nach Susa genommen, wo sie vermutlich noch immer den Palast
des Großkönigs schmücken. Eines Tages werden wir sie euch zurückgeben.“
„Ach wirklich?“ Hypereides gab ein schepperndes Lachen von
sich und zog das heruntergerutschte Himation wieder auf seine Schulter. „Siehst
du, Alexander: Das ist einer der Gründe, warum wir euch Makedonen so sehr
hassen!“
9
Als Alexander seinen Blick über die mit Gras und Gestrüpp
überwucherte Ebene wandern ließ, musste er unwillkürlich daran denken, wie gut
sie sich als Schlachtfeld eignete.
Philipp hatte mit seiner Armee den Isthmos, die Landenge,
die Mittelgriechenland mit der Peloponnes verband, überschritten, und die
Stadtstaaten auf der Halbinsel hatten sich beeilt, dem Sieger von Chaironeia
ihre Freundschaft anzubieten. Genauer gesagt hatten die meisten sich vor
Beflissenheit geradezu überschlagen. Die Einzigen, die nichts von sich hatten
hören lassen, waren die Spartaner, und alles wartete mit angehaltenem Atem,
dass die alte Vormacht Griechenlands und die neue Macht aus dem Norden
aufeinanderprallten. Unterdessen hatte Philipps Armee ihr Lager bei der Stadt
Megalopolis aufgeschlagen, nicht weit von der Grenze zu Lakonien, dem
spartanischen Kernland.
Alexanders Weg zum Zelt seines Vaters führte ihn an einem
Fremden vorüber, der im Gras saß und sich von den Strahlen der untergehenden
Sonne bescheinen ließ. Der Mann war in einen schäbigen Umhang gehüllt, neben
ihm auf dem Boden lagen ein Wanderstock und ein abgeschabter Ranzen. Als
Alexander an ihm vorüberging, blickte ihm der Fremde mit anzüglichem Grinsen
hinterher und ließ die weißen Zähne blitzen. Ein Grashalm hing lässig aus
seinem Mundwinkel. Flüchtig fragte sich Alexander, was eine solch abgerissene
Gestalt in der Nähe des königlichen Zeltes zu suchen hatte. Die wachhabenden
Königsjungen steckten vor dem Eingang die Köpfe zusammen. Sie beachteten
Alexander kaum, als er an ihnen vorbei hineinging. Tolle Disziplin, dachte er, zu meiner Zeit hätte es das nicht gegeben.
„Isokrates ist gestorben“, sagte Philipp anstelle einer Begrüßung.
„So plötzlich?“ Alexander zog überrascht die Brauen hoch.
„Als ich in Athen war, wirkte er noch ganz rüstig. Obwohl er sich dauernd über
seine Gesundheit beklagte.“
Philipp nahm einen Schluck aus seinem Becher. „Er ist wohl
zu dem Schluss gekommen, achtundneunzig Jahre seien genug. Also hat er einfach
nichts mehr gegessen, bis er verhungert war. Sein ganzes
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