Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)
Zeitrechnung die Waffen ruhen ließen, ließ sich immer ein plausibles Szenario vorstellen, nach dem sie im Jahr darauf wieder aufeinander losgehen würden.
Dieses Gesetz des Dschungels haben wir heute überwunden. Es gibt tatsächlich Frieden, der mehr ist als die Abwesenheit von Krieg. Für die wenigsten Staaten lässt sich heute ein Szenario vorstellen, das zum Krieg führen würde. Was könnte beispielsweise Deutschland veranlassen, seinem Nachbarn Frankreich nächstes Jahr den Krieg zu erklären? Was könnte einen Waffengang zwischen Japan und China provozieren? Oder zwischen Brasilien und Argentinien? Natürlich kann es immer zu kleineren Grenzkonflikten kommen. Aber es wäre schon ein wahrhaft apokalyptisches Szenario nötig, um nächstes Jahr einen altmodischen totalen Krieg zwischen diesen Ländern zu provozieren, in dem argentinische Panzerdivisionen vor Rio de Janeiro auffahren, während brasilianische Bomber die Vororte von Buenos Aires dem Erdboden gleichmachen. Es gibt zwar durchaus Staaten, die im nächsten Jahr zu den Waffen greifen könnten, zum Beispiel Israel und Syrien, Äthiopien und Eritrea oder die Vereinigten Staaten und der Iran, doch diese Ausnahmen bestätigen die Regel.
Natürlich kann sich diese Situation in Zukunft auch wieder ändern, und im Rückblick könnte uns die Welt von heute furchtbar naiv erscheinen. Doch aus historischer Sicht ist schon diese Naivität faszinierend. Noch nie war der Friede so stabil, dass sich die Menschen den Krieg nicht einmal vorstellen konnten.
Wissenschaftler haben in zahllosen Büchern und Artikeln versucht, diese glückliche Entwicklung zu erklären, und sie haben verschiedene Ursachen dafür ausgemacht. Die wichtigste ist, dass Kriege einfach nicht mehr bezahlbar sind. Der Friedensnobelpreis gebührt letztlich Robert Oppenheimer und seinen Kollegen, die die Atombombe entwickelt haben. Die Kernwaffen haben einen Krieg zwischen Supermächten zu einem kollektiven Selbstmordkommando gemacht und dafür gesorgt, dass ein militärischer Sieg der einen Seite über die andere unmöglich wurde. Nur die Atombombe hinderte die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion daran, früher oder später den Dritten Weltkrieg vom Zaun zu brechen.
Während einerseits die Kosten explodierten, schrumpften die möglichen Gewinne. Früher bereicherten sich Herrscher, indem sie die besetzten Staaten ausplünderten. Der Reichtum eines Landes bestand aus Ackerland, Vieh, Sklaven und Gold und war leicht in Besitz zu nehmen. Heute setzt sich der Reichtum einer Gesellschaft jedoch vor allem aus Humankapital, technischem Knowhow und komplexen sozio-ökonomischen Gebilden wie Banken zusammen, die sich sehr viel schwerer rauben lassen.
Nehmen wir als Beispiel Kalifornien. Früher bestand der Reichtum dieses Bundesstaats aus seinen Goldvorkommen. Heute besteht er aus Silizium und Zelluloid – Silicon Valley und Hollywood. Was würde passieren, wenn zum Beispiel die Chinesen mit einer Million Soldaten an der Küste von San Francisco landen und landeinwärts stürmen würden? Sie würden kaum Beute machen. In Silicon Valley gibt es keine Siliziumvorkommen. Der Wohlstand hat seinen Ursprung in den Köpfen der Softwareingenieure von Google und der Magier von Hollywood, die im Flugzeug nach Bangalore oder Mumbai säßen, schon lange bevor die ersten chinesischen Panzer den Sunset Boulevard hinunterrollen. Es ist kein Zufall, dass die wenigen Eroberungskriege der letzten Jahre, zum Beispiel der Einmarsch der Iraker in Kuwait, Regionen treffen, in denen der Reichtum noch aus altmodischen Rohstoffen besteht. Die Scheichs von Kuwait konnten zwar ins Ausland fliehen, doch die Ölfelder blieben zurück.
Während sich der Krieg nicht mehr lohnt, wurde der Frieden lukrativer denn je. Durch die immer engeren Verflechtungen der kapitalistischen Märkte wird die Wirtschaft zu einem Spiel, bei dem alle gewinnen. Durch Geschäfte wird man heute schneller reich als durch Eroberungen. Die chinesischen Panzer können Silicon Valley nicht erobern, doch die chinesischen Investoren sehr wohl. Und für diese Investoren wäre ein Krieg mit den Vereinigten Staaten eine echte Katastrophe.
Und schließlich hat sich in der internationalen politischen Kultur eine gewaltige Plattenverschiebung ereignet. In der Vergangenheit standen viele Eliten der Welt – die Großkhane der Mongolen genau wie die Häuptlinge der Wikinger und die Priester der Azteken – dem Krieg sehr positiv gegenüber. Andere betrachteten ihn
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