Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)
Wachstum des Gehirns. Da lange Därme genauso große Energiefresser sind wie große Gehirne, ist es kaum möglich, beide gleichzeitig zu unterhalten. Weil das Kochen jedoch eine Verkürzung des Verdauungstrakts und damit Energieeinsparungen ermöglichte, bereitete es ganz nebenbei den gewaltigen Gehirnen des Neandertalers und des Homo sapiens den Boden. 1
Das Feuer riss außerdem einen ersten Graben zwischen den Menschen und dem Rest der Tierwelt auf. Die Stärke eines Tiers hängt in der Regel direkt mit seinen körperlichen Eigenschaften zusammen, zum Beispiel seiner Muskelkraft, seiner Flügelspannweite oder der Größe seiner Zähne. Obwohl Tiere in der Lage sind, Luft- oder Wasserströmungen für sich zu nutzen, stellen ihre körperlichen Anlagen immer eine Obergrenze dar, die sie nicht überwinden können. Adler sind zwar imstande, aufsteigende Warmluft zu erkennen und sich von der Thermik nach oben tragen zu lassen. Aber sie können diese Luftsäulen nicht nach Belieben an- und abschalten, und die Kraft, mit der sie ihre Beute abtransportieren können, hängt immer von ihrer Flügelspannweite ab.
Als die Menschen das Feuer bändigten, erlangten sie dagegen die Kontrolle über eine willige und potenziell grenzenlose Kraft. Anders als die Adler konnten sie frei entscheiden, wann und wo sie ein Feuer entzündeten, und sie konnten dieses neue Werkzeug für eine ganze Reihe von Tätigkeiten einsetzen. Vor allem aber war die Macht des Feuers nicht vom menschlichen Körperbau abhängig. Mit einem Feuerstein oder einem Reibholz bewaffnet, konnte eine einzelne Frau innerhalb weniger Stunden einen ganzen Wald abfackeln. Die Bändigung des Feuers war ein erster Hinweis auf das, was noch kommen sollte. In gewisser Hinsicht war es der erste Schritt auf dem Weg zur Atombombe.
Der Hüter unserer Brüder
Wann kam die erste Homo sapiens zur Welt und wo lebte sie? Auf diese Frage gibt es keine eindeutige Antwort, nur einige Theorien. Die meisten Wissenschaftler sind sich jedoch einig, dass in Ostafrika vor 150000 Jahren die ersten »anatomisch modernen Menschen« lebten. Wenn heute ein Pathologe einen dieser Menschen auf dem Seziertisch vor sich hätte, dann würde ihm nichts Besonderes auffallen. Wissenschaftler sind sich außerdem einig, dass der Homo sapiens vor rund 70000 Jahren von Ostafrika nach Arabien wanderte und sich von dort aus rasch über weite Teile Europas und Asiens ausbreitete.
Karte 1. Der Homo sapiens erobert die Welt
Als der Homo sapiens nach Arabien kam, lebten in Europa und Asien jedoch schon andere Menschenarten. Was passierte mit denen? Dazu gibt es zwei widerstreitende Theorien. Die »Vermischungshypothese« erzählt eine pikante Geschichte von gegenseitiger Anziehung, Vermischung und Sex. Wenn man dieser Theorie glaubt, trieben es die afrikanischen Migranten auf ihren Wanderungen mit allen, die ihnen über den Weg liefen. Daher verdankten die verschiedenen Gruppen von Homo sapiens in aller Welt ihre Gene und damit ihre körperlichen und geistigen Eigenschaften zum Teil auch den Angehörigen älterer Menschenarten.
Die zweite Theorie, die »Verdrängungshypothese«, zeichnet ein ganz anderes Bild von Unverträglichkeit, gegenseitiger Ablehnung und vielleicht sogar Völkermord. Nach dieser Theorie fanden die Neuankömmlinge aus Afrika die alteingesessenen Menschen alles andere als attraktiv. Und selbst wenn es hier und da zu Paarungen gekommen sein sollte, sei aus diesen Verbindungen kein fortpflanzungsfähiger Nachwuchs hervorgegangen, weil der genetische Graben zwischen beiden Arten bereits zu groß gewesen sei. Oder vielleicht schlachteten die Einwanderer ihre fremd aussehenden Konkurrenten ganz einfach ab. Nach dieser Hypothese verschwanden die älteren Menschenarten, ohne genetische Spuren im modernen Menschen zu hinterlassen. Wenn diese Theorie stimmt, gehen alle heute lebenden Menschen ausschließlich auf Vorfahren zurück, die vor 70000 Jahren in Ostafrika lebten.
In der Diskussion zwischen diesen beiden Hypothesen steht einiges auf dem Spiel. Aus evolutionärer Sicht sind 70000 Jahre ein relativ kurzer Zeitraum. Wenn die Verdrängungshypothese stimmt, haben alle Menschen mehr oder weniger dasselbe genetische Material und die Unterschiede zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppierungen von heute sind vernachlässigbar. Wenn dagegen die Vermischungshypothese stimmt, könnte es zwischen Afrikanern, Europäern und Asiaten beachtliche genetische Unterschiede geben, die Hunderttausende
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