Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)
von Pflanzen, Insekten, Kleintieren und dem Aas, das größere Fleischfresser zurückgelassen hatten.
Die Steinwerkzeuge verwendeten sie übrigens hauptsächlich, um Knochen zu knacken und an das Mark in deren Inneren zu gelangen. Einige Wissenschaftler meinen, dies sei unsere ökologische Nische gewesen: Genau wie sich die Spechte darauf spezialisiert haben, Insekten aus der Baumrinde herauszupicken, verlegten sich die Menschen darauf, das Mark aus den Knochen zu pulen. Aber warum ausgerechnet Knochenmark? Ganz einfach: Stellen Sie sich vor, Sie beobachten, wie ein Löwenrudel eine Giraffe zur Strecke bringt und sich daran gütlich tut. Sie warten geduldig ab, bis sich die Raubkatzen den Magen vollgeschlagen haben, und dann sehen sie zu, wie sich die Hyänen und Schakale (mit denen Sie sich auf keinen Fall anlegen wollen) über die Reste hermachen. Erst dann wagen Sie sich mit Ihrer Horde aus der Deckung, schleichen sich an die verbleibenden Knochen heran und suchen nach den letzten Fetzchen von essbarem Gewebe.
Dies ist auch ein Schlüssel zum Verständnis der menschlichen Geschichte und Psyche. Bis vor Kurzem befand sich die Gattung Homo irgendwo in der Mitte der Nahrungskette. Jahrmillionen lang jagten Menschen kleinere Tiere und aßen, was sie eben bekommen konnten, während sie gleichzeitig auf dem Speisezettel von größeren Räubern standen. Erst vor 400000 Jahren begannen einige Menschenarten damit, regelmäßig auch größeren Beutetieren nachzustellen. Erst in den vergangenen 100000 Jahren, mit dem Aufstieg des Homo sapiens , schaffte die Gattung Mensch den Sprung an die Spitze der Nahrungskette.
Dieser spektakuläre Aufstieg hatte weitreichende Auswirkungen. Die Menschen waren es nicht gewöhnt, an der Spitze der Nahrungskette zu stehen, und konnten nicht sonderlich gut mit dieser neuen Rolle umgehen. Andere Raubtiere wie Löwen oder Haie hatten sich über Jahrmillionen hinweg hochgebissen und angepasst. Die Menschen dagegen fanden sich fast von einem Tag auf den anderen an der Spitze wieder und hatten kaum Gelegenheit, sich darauf einzustellen. Viele Katastrophen der Menschheitsgeschichte lassen sich mit dieser überhasteten Entwicklung erklären, angefangen von der Massenvernichtung in Kriegen bis hin zur Zerstörung unserer Ökosysteme. Die Menschheit ist kein Wolfsrudel, das durch einen unglücklichen Zufall Panzer und Atombomben in die Finger bekam. Die Menschheit ist vielmehr eine Schafherde, die dank einer Laune der Evolution lernte, Panzer und Atombomben zu bauen. Aber bewaffnete Schafe sind ungleich gefährlicher als bewaffnete Wölfe.
Das kochende Tier
Ein wichtiger Schritt auf dem Weg an die Spitze der Nahrungskette war die Bändigung des Feuers. Wir wissen nicht genau, wann, wo und wie Menschen dies schafften. Doch vor rund 300000 Jahren scheint das Feuer für viele zum Alltag gehört zu haben. Damit hatten sie eine verlässliche Licht- und Wärmequelle und eine wirkungsvolle Waffe gegen die lauernden Löwen. Damals starteten die Menschen ihre ersten großangelegten Unternehmungen: die gezielte Brandrodung von Wäldern. Nachdem die Feuer erloschen waren, wanderten die Steinzeitunternehmer durch die Asche und sammelten geröstete Tiere, Nüsse und Wurzeln ein. Ihnen folgten die ersten Landschaftsplaner. Mit einem sorgfältig gelegten Buschfeuer ließ sich ein undurchdringliches Dickicht in eine Steppe verwandeln, auf der es von Beutetieren nur so wimmelte. Aber das Beste am Feuer war, dass man damit kochen konnte.
Die Kochkunst erschloss der Menschheit neue Regalreihen im Supermarkt der Natur. Pflanzen, die der menschliche Magen in roher Form nicht verwerten konnte – zum Beispiel Weizen, Reis oder Kartoffeln –, wanderten plötzlich auf die Liste der Grundnahrungsmittel. Das Feuer veränderte jedoch nicht nur die Chemie der Nahrungsmittel, sondern auch ihre Biologie. Die Hitze tötete Bakterien und Parasiten ab und machte traditionelle Leckerbissen wie Früchte, Nüsse, Insekten und Aas leichter kau- und verdaubar. Während Schimpansen fünf Stunden am Tag damit zubrachten, auf ihrer Rohkost herumzukauen, reichte den Menschen mit ihren gekochten Mahlzeiten eine Stunde.
Dank dieser Erfindung konnten die Menschen eine größere Bandbreite von Nahrungsmitteln zu sich nehmen, sie sparten Zeit beim Essen und kamen mit kleineren Zähnen und kürzeren Därmen aus. Einige Wissenschaftler sehen einen direkten Zusammenhang zwischen der Entdeckung des Kochens, der Verkürzung des Darms und dem
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