Eine kurze Geschichte der Zeit (German Edition)
alle, daß ein Schwarzes Loch Teilchen und Strahlung aussenden müßte, als wäre es ein heißer Körper, wobei die Temperatur lediglich von der Masse des Schwarzen Loches abhängt: je größer die Masse, desto geringer die Temperatur.
Wie ist es möglich, daß ein Schwarzes Loch Teilchen zu emittieren scheint, wo wir doch wissen, daß seinem Ereignishorizont nichts zu entrinnen vermag? Die Antwort liefert uns die Quantentheorie! Die Teilchen stammen nicht aus dem Innern des Schwarzen Loches, sondern aus dem «leeren» Raum unmittelbar außerhalb des Ereignishorizonts. Das ist folgendermaßen zu verstehen: Was wir uns als «leeren» Raum vorstellen, kann nicht völlig leer sein, weil dann alle Felder, also etwa das elektromagnetische und das Gravitationsfeld, exakt gleich Null sein müßten. Doch mit dem Wert eines Feldes und seiner zeitlichen Veränderung verhält es sich wie mit der Position und Geschwindigkeit eines Teilchens. Aus der Unschärferelation folgt: Je genauer man eine dieser Größen kennt, um so weniger kann man über die andere aussagen. Deshalb kann das Feld im leeren Raum nicht genau Null sein, weil es dann einen exakten Wert (Null) und eine exakte Veränderungsrate (ebenfalls Null) hätte. Es muß ein bestimmtes Mindestmaß an Ungewißheit oder Quantenfluktuationen im Wert des Feldes bleiben. Man kann sich diese Fluktuationen als Teilchenpaare des Lichts oder der Gravitation vorstellen, die irgendwann zusammen erscheinen, sich trennen, abermals zusammenkommen und sich gegenseitig vernichten. Diese Teilchen sind «virtuell», wie die Teilchen, die die Schwerkraft der Sonne tragen: Im Gegensatz zu realen Teilchen kann man sie nicht direkt mit einem Teilchendetektor beobachten. Doch ihre indirekten Auswirkungen – zum Beispiel kleine Veränderungen in der Energie von Elektronenbahnen in Atomen – lassen sich sehr wohl messen und stimmen bemerkenswert genau mit den theoretischen Vorhersagen überein. Die Unschärferelation sagt ebenfalls voraus, daß es ähnliche virtuelle Paare bei Materieteilchen gibt, etwa den Elektronen oder Quarks. In diesem Fall ist jedoch ein Element des Paares ein Teilchen und das andere ein Antiteilchen (die Antiteilchen des Lichts und der Gravitation sind identisch mit ihren Teilchen).
Da Energie nicht aus nichts entstehen kann, wird der eine Partner in einem Teilchen-Antiteilchen-Paar positive und der andere negative Energie besitzen. Der Partner mit negativer Energie ist zu einem kurzlebigen Dasein als virtuelles Teilchen verurteilt, weil reale Teilchen in gewöhnlichen Situationen immer positive Ladung haben. Deshalb muß es sich seinen Partner suchen und sich mit ihm zusammen annihilieren. Doch ein reales Teilchen besitzt in der Nähe eines massereichen Körpers weniger Energie als in weiter Entfernung von ihm, weil Energie erforderlich ist, es gegen die Massenanziehung des Körpers auf Distanz zu halten. Normalerweise wäre die Energie des Teilchens noch immer positiv, doch das Gravitationsfeld im Innern des Schwarzen Loches ist so stark, daß dort sogar ein reales Teilchen negative Energie aufweisen kann. So kann also ein virtuelles Teilchen mit negativer Energie in ein Schwarzes Loch fallen und zu einem realen Teilchen oder Antiteilchen werden. In diesem Fall braucht es sich nicht mehr mit seinem Partner zu vernichten. Sein verwaister Partner kann ebenfalls in das Schwarze Loch fallen oder, mit positiver Energie ausgestattet, als reales Teilchen oder Antiteilchen der Nähe des Schwarzen Loches entrinnen (Abb. 24). Ein entfernter Beobachter wird den Eindruck gewinnen, das Teilchen sei vom Schwarzen Loch emittiert worden. Je kleiner das Schwarze Loch, desto kürzer die Strecke, die das Teilchen mit negativer Energie zurückzulegen hat, bis es ein reales Teilchen wird, und desto höher also die Emissionsrate und damit die scheinbare Temperatur des Schwarzen Loches.
Abb. 24: «Leerer» Raum ist gefüllt mit Paaren virtueller Teilchen und Antiteilchen. Sie entstehen gemeinsam, entfernen sich voneinander, kommen wieder zusammen und vernichten sich. In unmittelbarer Nähe eines Schwarzen Loches kann ein Partner des virtuellen Paares hineinfallen und zu einem realen Teilchen werden. Das andere kann dann dem Einflußbereich des Schwarzen Loches entkommen.
Die Teilchen mit negativer Energie, die in das Schwarze Loch hineinströmten, würden die positive Energie der abgegebenen Strahlung aufwiegen. Nach der Einsteinschen Gleichung E = mc 2 (wobei E die Energie ist,
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